Wahlkampf in den USA

Wiederholt sich da gerade eine gefährlich naive Frömmigkeit?

Donald Trump
Das Attentat auf Donald Trump vom Juli ist – historisch betrachtet – nur eines von vielen. Und doch hat es eine merkwürdige Aura, eine Symbolkraft und eine religiös überhöhte Fankultur entfaltet. Ist das gut so? Ein Kommentar von Peter Henning.

Am Parteitag wurde Trump in einer evangelikal-freikirchlichen Krönungsmesse endgültig zum Heilsbringer verklärt und als «leader of the nation» zelebriert: «Wir Republikaner haben jetzt einen von Gott bestätigten Retter der USA.» Solche messianischen Attribute und massenhaften Liebesbezeugungen gipfelten in zahlreichen Absurditäten, etwa die Jacke einer Frau, auf der zu lesen war: «Ich wähle einen verurteilten Verbrecher.» Mit «fight, fight, fight» und «win, win, win» löste Trump wahre Begeisterungsstürme aus. Wen Gott so spektakulär vor dem Tod bewahrt, darf sich derjenige nicht als göttlich legitimiert verstehen?

Ist Donald Trump ein moderner David?

Nicht nur die Mehrheit der EvangeIikalen in den USA ist davon fasziniert, dass Trump persönlich und öffentlich bekennt: «Ich hatte Gott auf meiner Seite, es war er allein, der das Undenkbare verhindert hat.» Auch hier in Europa wurden US-Theologen und besonders immer wieder Franklin Graham, der Sohn des Evangelisten Billy Graham, in christlichen Zeitschriften kritiklos zitiert. Es gibt sie auch hierzulande: Christen, die von seiner Bewahrung durch Gott überzeugt sind und sich als Unterstützer Trumps ausgeben.

Mich erstaunt und erschreckt, wie in gewissen evangelikalen Kreisen jetzt gefolgert wird: Bewahrung im Attentat ist gleich Fügung Gottes. Diese Gleichsetzung, am Parteitag der Republikaner euphorisch gefeiert, hat etwas Beklemmendes, ja Beängstigendes an sich. Und Donald Trump als modernen, von Gott auserwählten Kyros und David zu verstehen, entspringt einer selektiv interessegeleiteten Bibelauslegung, welche die Unterschiede von David und Trump völlig ausblendet.  

Ein entlarvender Blick in die jüngere Geschichte

Exakt 80 Jahre nach dem missglückten Attentat auf Adolf Hitler frage ich: Warum diese fatale Geschichtsvergessenheit? Das Überleben von Attentaten ist doch nicht immer eine «Fügung Gottes und seiner Vorsehung», auch wenn das dann so deklariert wird!

Ich weiss sehr wohl Trump von Hitler zu unterscheiden. Aber was mich aufhorchen lässt: Kurz nach dem Attentat auf Hitler geschah 1944 der gleiche Automatismus im Pietismus und in den Freikirchen Deutschlands. Dazu zitiere ich nur als ein Beispiel das Glückwunschtelegramm der Vereinigung Evangelischer Freikirchen vom 20. Juli 1944: «Zur Rettung vor ruchlosem Attentat senden mit inniger Freude, Dank gegen Gott und der Versicherung weiterer Fürbitte herzlichste Glückwünsche namens der Vereinigung evangelischer Freikirchen: Gezeichnet Bundesdirektor Paul Schmid, EMK Bischof Dr. Otto Melle.»

Wiederholt sich die Geschichte?

Das Versagen der Freikirchen und des Pietismus im nationalsozialistischen Deutschland wurde lange verdrängt. Erst seit gut 25 Jahren wird es dokumentiert und aufgearbeitet, während ausgerechnet die evangelischen Bischöfe des Widerstandes bereits im Herbst 1945 mit einem Schuldbekenntnis «in den Riss» traten!

Warum wird dieser bedrückende Befund im evangelikalen Raum jetzt nicht zur Kenntnis genommen? Die «Alternative für Deutschland» (AfD) fand am 1. September ausgerechnet in den lutherisch-pietistisch geprägten Bezirken im Erzgebirge eine hohe Zustimmung, im Unterschied zum katholischen Eichsfeld. Ich beobachte mit Sorge eine fatale Wiederholung pseudofrommer Blindheit, nicht nur in den USA, sondern auch bei uns.

Juli 1944 zu Juli 2024: Was für eine bedrückende Parallele in vielerlei Hinsicht! Sie belegt die schon alte Erkenntnis, dass Bibeltreue die Bibeltreuen nicht unbedingt vor Irrwegen schützt. Dass die meisten Evangelikalen in den USA den charakterlich fragwürdigen Donald Trump fast zu einem von Gott gesandten Retter der Nation hochstilisieren, ist das «bibeltreu»?

Immerhin: Die Hälfte der Bevölkerung in den USA sorgt sich um ihr Land, der Widerstand moderater Republikaner wächst markant. Auch namhafte evangelikale Theologen sehen Land und Demokratie seit 2018 durch einen wirren «Trumpismus» bedroht. Ihr Statement «Reclaiming Jesus in Politics» entspricht der «Barmer Erklärung» von 1934.

Bedrohte Demokratie

Der gegenwärtige Rechtsrutsch wird befeuert durch einen wachsenden Verdruss gegenüber dem Pluralismus – der Vielfalt an Meinungen. Sinn und Wert absoluter Freiheit eines totalen Individualismus werden bezweifelt. Aufgrund dieser Verunsicherung wird nun die Demokratie als politischer Ermöglichungsrahmen der Freiheit total in Frage gestellt.

Die Freiheit kann durchaus die Freiheit im Namen der Freiheit bedrohen. Seit 1789 hat sich das immer wieder bestätigt. So ist die Freiheit der Aufklärung schon seit dem 1. Weltkrieg mehr und mehr in Verruf geraten. Auch die modernen ökologischen und ökonomisch-sozialen Krisen gehen auf ihr Konto. Diese bittere Erkenntnis ist allgemein angekommen und treibt uns alle an – aber wohin?

Leider werden diese Ängste und Sorgen jetzt auch manipulativ bewirtschaftet, Empfindungen werden gegen Fakten und Argumente ausgespielt, Wahrheit und Lüge vermischen sich und demokratiefeindliche Kräfte präsentieren sich populistisch, attraktiv und religiös-theatralisch. Stimmungen und Gefühle gelten in der Politik plötzlich mehr als biblische Grundprinzipien. Auffällig ist dabei die starke Personalisierung politischer Heilshoffnungen. Aber das alles ist nicht neu.

Es wäre nun aber eine gefährliche Verharmlosung zu meinen, die populistischen Parteien seien als vorübergehender Protest zu begreifen. Nein, das sind bewusste Entscheidungen: Die Menschen wollen, was und wen sie wählen. Die Politprogramme sind bei ihnen bereits tief als Überzeugung verwurzelt. Auch viele Christen setzen sich bereits öffentlich und vernehmlich für solch einen politischen Gesinnungswechsel ein.  

Missbrauchtes Christentum

Christlich-fromme Sympathien für rechts- und linkspopulistische Bewegungen hat es in der Geschichte immer wieder geben, am unheilvollsten wohl 1933 bis 1945.

Wo aber das Christentum als Feigenblatt benutzt wird, um die eigene politisch-ideologische Agenda zu legitimieren, ist immer ein Missbrauch des «Gott mit uns» gegeben. Denn bei genauer Analyse erweist sich jeder Populismus – in welcher Form auch immer – nicht als Problemlösung im Sinne Gottes, sondern als ein toxisches Gemisch realistischer Analysen, lügenhafter Böswilligkeit, nationalistischer Utopien, religiöser Versatzstücke sowie unmenschlicher Ausgrenzungen.

Warum wird das ausgeblendet und verdrängt? Warum verbünden sich wieder so viele Christen mit dieser Renaissance inhumaner Politutopien und pseudomessianischer Führergestalten? Christen, die das nicht entlarven und verwerfen, riskieren durch ihre fromme Naivität und Geschichtsvergessenheit die Wiederholung von Unheils-Geschichten.

Dieser Artikel erschien bei Forum Integriertes Christsein

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Datum: 18.10.2024
Autor: Peter Henning
Quelle: Forum integriertes Christsein

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