Tobias Ain im Talk

Ein krasses Leben zwischen Lenin, Jehova und Jesus

Tobias Ain
Der Coach und Verkaufstrainer Tobias Ain war Kommunist, er war Zeuge Jehovas und inzwischen lebt er als Christ. Über seine spannende Lebensgeschichte und sein aktuelles Buch spricht Livenet-Chefredaktor Florian Wüthrich mit ihm.

Tobias Ain stammt aus Ostdeutschland und ist zunächst glühender Marxist. Nach seiner Flucht in den Westen wird er vom Kapitalismus enttäuscht, sucht Orientierung bei den Zeugen Jehovas, wo er 27 Jahre lang aktiv ist, teils in leitender Position. Als er unbequeme Fragen stellt, endet seine Zeit in der Religionsgemeinschaft. Wieder stellt er die Sinnfrage, sucht im Buddhismus und wird dann beim Bibellesen fündig. Er begegnet Jesus Christus. Heute arbeitet Tobias Ain als Coach und Verkaufstrainer und leitet den Verein «Betesda hilft», der Zeugen Jevovas beim Ausstieg unterstützt. Florian Wüthrich spricht mit ihm über seine Geschichte und sein Buch «Alles nur heisse Luft?», das gerade beim Brunnen Verlag in Giessen erschienen ist.

Entwurzelt

«Ich hab zehn verschiedene Schulen besucht – es hat trotzdem nichts gebracht», fasst Tobias Ain im Gespräch mit Florian Wüthrich seine Kindheit in der DDR zusammen. «Entwurzelt trifft es gut!», meint er dazu. Er kommt 1973 in Sachsen zur Welt, zieht aber bald aus der Leipziger Gegend nach Brandenburg. Dort wächst er auf mit dem Gefühl, nicht dazuzugehören. Zu seiner geliebten Oma hat er nicht mehr viel Kontakt, sein Zuhause ist geprägt von Alkohol und Gewalt.

Die einzige Konstante ist der Kommunismus. In ihm findet er die Stabilität, die er sucht. Weil Tobias Ain schon immer gern liest, setzt er sich früh mit Lenins Schriften auseinander und engagiert sich stark im politischen System der DDR. Im Nachhinein beschreibt er seine Welt nicht als rund, sondern als eine Art sozialistische Scheibe, neben der es einfach nichts anderes gab. Das ändert sich erst, als seine Eltern 1989 über die Prager Botschaft in den Westen fliehen und ihn mitnehmen. Dies ist nicht nur ein Umzug, es ist ein kompletter Systemwechsel. Er findet sich in einem völlig anderen Land wieder, einem Land, wo es einfach alles gibt. Er ist orientierungslos. Sein Weltbild ist zusammengefallen wie ein Kartenhaus, er weiss nicht mehr, was er glauben soll und sucht nach einer Wahrheit, die trägt.

Die Zeugen

Gefühlt ist Tobias Ain allein in der Fremde, geprägt von Unsicherheit und Ängsten. In dieser Zeit begegnet er den Zeugen Jehovas, die ihm Gemeinschaft anbieten und darüber hinaus einfache Antworten auf seine komplizierten Sinnfragen. Schnell findet er in diese für ihn neue Welt hinein, besucht die Gottesdienste im Königreichssaal, absolviert ein Bibelstudium, das im Rückblick eher ein Auf-Linie-Bringen der Sekte ist. Er lässt sich taufen und wird Mitglied, engagiert sich beim Verkündigungsdienst von Haus zu Haus und arbeitet zwei Jahre lang in der Deutschlandzentrale der Zeugen Jehovas in Selters mit. Dort leben und arbeiten fast 1'000 Mitglieder in der Verwaltung und vor allem der Druckerei, die ganz Zentraleuropa und mehr mit dem «Wachtturm» und anderen Publikationen versorgt.

Diese Zeit ist für ihn wegen der Gemeinschaft zunächst eine «Vorschau auf das Paradies», und er lernt sehr viel über die Organisation der Zeugen. Damals scheint es ihm völlig klar, dass Jesus Christus eigentlich der Erzengel Michael ist, dass der Heilige Geist nur eine Energie ist und nicht Gott, dass die meisten christlichen Feste wie Weihnachten heidnisch motiviert sind und dass so etwas wie eine Bluttransfusion von der Bibel her verboten ist. Ihm leuchtet auch ein, dass alle anderen Christen falsch liegen und zu «Babylon der Grossen» gehören, dem Weltreich der falschen Religionen.

27 Jahre dauert diese Zeit insgesamt. Doch irgendwann wachsen die Zweifel bei Tobias Ain. Er stellt Organisatorisches infrage und dann auch die Lehre der Zeugen. Er gibt sein Ältestenamt ab, obwohl so ein Schritt eigentlich nicht vorgesehen ist, denn man erhält es auf Lebenszeit, und er erklärt: «Es war eine sehr anstrengende Zeit für mich, (…) da weiterhin so auf der Suche zu sein. Ich war wie im Labyrinth und habe da keinen Weg rausgefunden.» Er weiss, dass er Gott nicht aufgeben will, aber kein Zeuge Jehovas mehr sein kann, so beschliesst er: «Ich lese nur noch in der Bibel und bete – nichts anderes.»

Die Bibel

Tobias Ain ist der Bibel schon früher begegnet. In der DDR war Religion für ihn noch «Opium fürs Volk», doch einmal fand er eine Lutherbibel im Müll. Ein Pastor erklärte ihm damals einiges dazu, aber es hatte noch keine weiteren Auswirkungen. «Als wenn Gott irgendwie so ein paarmal angeklopft hat bei mir, aber nur ganz leise», erzählt er im Rückblick. Jetzt nimmt er die Bibel also wieder zur Hand und liest sie komplett durch. Als er danach noch einmal durchs Neue Testament geht, stolpert er im Johannesevangelium über die Aussage von Andreas, der Petrus einlädt: «Wir haben den Messias gefunden… Und er führte ihn zu Jesus.» Plötzlich wird Tobias Ain klar, dass sich alles um Jesus dreht, den die Zeugen Jehovas an den Rand geschoben haben, und er erzählt Florian Wüthrich: «Es war so, als wenn Jesus direkt neben mir steht, dort im Schlafzimmer, wo ich gelesen habe, und ich konnte es einfach nicht fassen. Ich konnte nicht fassen, dass ich Jesus gefunden hatte.»

Diese Fassungslosigkeit begleitet ihn noch eine ganze Weile, und sie weicht nur der Realität, dass Jesus da ist und bleibt – das ist sein «Bekehrungserlebnis». Bis dahin sucht er überall nach Frieden: von Esoterik über Buddhismus bis hin zu beruflichen Erfolgsprogrammen. Doch nun hat er – wie er es ausdrückt – «einen Herzensfrieden in mir drin, gar nicht mehr suchen zu müssen». Schnell findet er ein Zuhause in einer Freikirche in seiner Umgebung und geniesst es, sich nicht gegen alles abgrenzen zu müssen und Wahrheit nicht als Regelwerk, sondern in der Person von Jesus Christus zu erleben.

Die «Pimos»

Inzwischen ist es fünf Jahre her, dass Tobias Ain bei den Zeugen Jehovas ausgestiegen ist. Er hegt keinen Groll gegen sie, freut sich aber über seine neue Freiheit, auch dass er sich zum Beispiel mit seiner Mutter wieder versöhnen konnte, die ihn beim Eintritt dort damals aus dem Haus geworfen hat. Gern sucht er das Gespräch mit ihnen, wenn er in Fussgängerzonen unterwegs ist. Er weiss, dass er sich nicht als Aussteiger outen darf, weil sonst das Gebot der Ächtung greift und sie nicht mit ihm reden dürfen. In seinen Unterhaltungen konfrontiert er sie kaum, in erster Linie spricht er von seinem eigenen Glauben und unterstreicht Gottes Gnade, die er erfahren hat. «Das beeindruckt viele», weiss er.

Trotzdem ist es ihm ein Anliegen, andere über die Arbeit der Zeugen Jehovas aufzuklären und Ausstiegswilligen zu helfen. Dafür ist Tobias Ain regelmässig zu Vorträgen unterwegs und hat ausserdem den Verein «Betesda hilft» gegründet. Er rechnet allein in Deutschland mit 50'000 sogenannten «Pimos» in der Religionsgemeinschaft. Das sind Mitglieder, die «physically in, mentally out» sind, also solche, die auf dem Papier noch dazugehören, aber sich innerlich längst distanziert haben. Sie will er bei den schwierigen praktischen Schritten unterstützen. «Alles nur heisse Luft?» – Nein, Tobias Ain hat im Glauben an Jesus Christus mehr gefunden als nur ein kurzfristig gutes Gefühl. Seit 2019 ist er mit ihm unterwegs und lädt in seinem gleichnamigen Buch auch andere ein, diesem Gott zu vertrauen.

Wir verlosen 5 Exemplare des Buches «Alles nur heisse Luft?» von Tobias Ain. Um an der Verlosung teilzunehmen, senden Sie uns eine Mail mit Name und Adresse an redaktion@livenet.ch. Ausgelost wird am 3. Mai 2024.

Sehen Sie sich hier den Talk mit Tobias Ain an:

Zum Buch:
Alles nur heisse Luft? Lenin – Jehova – Jesus: meine lange Suche nach der Wahrheit

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Datum: 23.04.2024
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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