Glaube und Zweifel

Wie glaubwürdig ist die Bibel?

Wie glaubwürdig ist die Bibel?
Zweifeln Sie manchmal an der Glaubwürdigkeit der Bibel? Und wenn schon, das macht doch keinen Unterschied fürs Glaubensleben. Oder etwa doch? Dazu der Gedankengang einer reformierten Pfarrerin.

2015 wurde ich in den Dienst als «Dienerin am Wort Gottes» – lateinisch Verbi Divini Ministra – ordiniert, somit also zur evangelisch-reformierten Pfarrerin ernannt. Seither übe ich meine Tätigkeit mit Freude und Begeisterung aus. Es erfüllt mich mit Ehrfurcht, dass Gott mich gebrauchen kann und will, um sein Wort unter die Menschen zu bringen. Ich staune darüber, dass ich als unvollkommener Mensch eine solche Ehre geniessen darf, sein Wort für heutige suchende und findende Menschen auszulegen. 

Mehr Dichtung als Wahrheit?

Wobei über den Begriff «Auslegung» – altgriechisch Exegese – gestolpert werden kann. Mit Wonne lese ich jeweils von neuen archäologischen Funden, welche die biblischen Texte bestätigen. Seit dem Erscheinen des Bestsellers «Und die Bibel hat doch recht» 1955 und den vielen Funden seither meinte ich, dass die grundsätzliche Glaubwürdigkeit der Bibel nicht mehr angezweifelt werden muss und die Auslegung biblischer Texte darauf aufbauen kann.

Weit gefehlt: In meinem Theologiestudium an der Universität wurde ich eines Besseren belehrt. Zu Beginn der Einführung ins Alte Testament wurden wir als Studentinnen und Studenten darüber informiert, dass die historisch-kritische Methode – im Zuge der Aufklärung und spätestens ab den beiden Weltkriegen die gängige Methode, um die Bibel zu erforschen – die grundsätzliche Unglaubwürdigkeit der Bibel voraussetzt.

Nicht nur, dass die Historizität der biblischen Berichte in Frage gestellt wird und damit, dass gewisse biblische Ereignisse überhaupt stattgefunden haben; es wird auch davon ausgegangen, dass die Autoren der Bibel aufgrund ihrer subjektiven Wahrnehmung Texte verfasst haben, welche für uns heute nur noch bedingt Aussagekraft haben und falls, dann nur in symbolischer Art und nach der Regel der Allegorie, also in einem übertragenen Sinn. Theologen wie Johann Salomo Semler (1725-1791) und Ferdinand Christian Baur (1792-1860) waren Vorreiter und Wegbereiter zum «Zweifel an der biblischen Glaubwürdigkeit», wie ich sie nenne. Trotzdem: Der historisch-kritischen Methode verdanken wir vieles. Sie hat uns den Zugang zu so manchen biblischen Texten neu geöffnet, indem sie uns Hinweise zum ursprünglichen Gebrauch und zur möglichen Herkunft liefert.

Wahre Funde

Sarah von Schuckmann-Müller

Christen sollten jedoch aufmerken, wenn sie feststellen, dass Pfarrpersonen und Pastoren die Glaubwürdigkeit von biblischen Berichten in Abrede stellen. Eines von unzähligen Beispielen von biblisch-archäologischen Funden ist der Wassertunnel von König Hiskia aus dem 8. Jahrhundert vor Christus. Im 19. Jahrhundert wurde in Jerusalem zufällig ein 500 Meter langer unterirdischer Tunnel entdeckt, welcher auf die Beschreibung in 2. Könige 20 und 2. Chronik 32 passt. 1880 wurde durch den Fund einer Inschrift der Erbauer jenes Tunnels identifiziert. Dank der C14-Methode, der Radiokohlenstoffdatierung, konnten Stalaktiten, herunterhängende Kalkablagerungen, die sich seit dem Bau des Tunnels gebildet hatten, auf die Zeit König Hiskias datiert werden.

Auch die Qumran-Schriftrollen, welche 1948 am Toten Meer per Zufall entdeckt wurden, deuten auf die Zuverlässigkeit der Bibelüberlieferung hin. Dies gilt insbesondere für den Sensationsfund der Jesaja-Schriftrolle. Die ältesten hebräischen Bibelhandschriften, die bis dahin gefunden worden waren, stammten aus dem 10. Jahrhundert nach Christus, diese Handschrift jedoch aus dem 2. Jahrhundert vor Christus. Der Vergleich der jungen mit den alten Handschriften bestätigte, wie genau und getreu das biblische Wort über die Zeit weitergegeben worden war. In meiner Studienzeit wurden die Qumran-Rollen erwähnt, jedoch wurde mit keinem Wort auf den eigentlichen Fund hingewiesen: den erneuten Beweis biblischer Glaubwürdigkeit.

Ist das Bibelwort auch Gottes Wort?

Angezweifelt werden aber nicht nur biblische Ereignisse, sondern auch die Aussagekraft biblisch-theologischer Aussagen. Immer mehr Theologen und Pfarrpersonen machen einen Unterschied zwischen «Bibelwort» und «Gotteswort». Unter «Bibelwort» werden alle biblischen Texte verstanden, welche von Menschen geschrieben wurden – also die gesamte Bibel. Als solche seien sie an sich subjektiv, heisst: der Zeit, der Kultur sowie den Wert- und Moralvorstellungen unterstellt und würden daher einem steten Wandel unterliegen. Für uns heute, so der Gedanke, sind sie religionsgeschichtlich interessant, enthalten aber nur noch bedingt Aussagekraft für das Glaubensleben. Das «Gotteswort» sei im Gegensatz dazu ewig und müsse hinter den biblisch-subjektiven Texten neu gesucht und für unsere heutige Gesellschaft neu ausgelegt werden.

Das ist nicht ganz falsch. Wie wertvoll, dass wir persönliche Texte, Gedichte und Lieder aus der Sicht unserer Glaubensväter und -mütter besitzen. Wir können uns dadurch mit ihnen identifizieren, fühlen uns verstanden und werden durch Gottes Antworten an sie auch heute noch getragen. Ein starker Hinweis darauf, dass Gott sich jedem von uns persönlich offenbaren will. Gerade dadurch können wir einem Gott begegnen, der heute noch derselbe ist wie damals. Hier befinden wir uns in Dimensionen, in welche die Wissenschaft nicht hineinreichen kann.

Die Folge aus dem Unterscheiden von «Bibelwort» und «Gotteswort» ist jedoch, dass biblische Schlüsselbegriffe wie Evangelium, Gnade, Rechtfertigung, Sohn Gottes und andere neuerdings ganz anders ausgelegt werden. Dabei findet eine Pseudomorphose statt: Es wird nicht nur neu erklärt, was für das Verständnis dringend notwendig ist, das ist ja die Aufgabe jeder Exegese, – die Begriffe werden neu gefüllt. Unter dem «Evangelium Jesu Christi» wird an einigen Theologischen Fakultäten in der westlichen Hemisphäre und in einigen Kantonalkirchen der Schweiz nicht mehr die «Errettung allein durch Christus» verstanden, sondern die Errettung aller Menschen durch Gottes Liebe, welche sich in allen Religionen zeigt und keine Verdammung vorsieht, die so genannte Allversöhnung. Das ist nur möglich, wenn Wahrheiten wie Sünde, Hölle, Satan und die ewige Verdammnis, wie sie die Bibel beschreibt, als naive und überholte Vorstellungen aus biblischer Zeit gelten.

Wieviel Bibeltreue darf sein?

Erst kürzlich erklärte mir ein Gemeindemitglied, dass meine zu bibeltreue Verkündigung nicht tragbar sei und ihren Platz höchstens in einer Sekte habe. Zu bibeltreu also. Ja, ich kann diese Ansicht verstehen. Wie kann ein aufgeklärter, humanistisch denkender Mensch an das Wort Gottes als Richtschnur für das heutige persönliche Leben glauben? Denn im humanistischen Welt- und Menschenbild beurteilt und verurteilt der menschliche Verstand die Heilige Schrift. Somit steht der Mensch im Zentrum, Gott steht irgendwo am Rand.

Sollte es nicht umgekehrt sein? Im Zentrum steht nicht der fehlerhafte Mensch, sondern der ewige Gott. Steht denn nicht in der Bibel, dass Gott vor aller Zeit war und somit nicht unseren Gesetzmässigkeiten unterliegt (in Jesaja Kapitel 57, Vers 15)? In Epheser Kapitel 1, Vers 4 lesen wir, dass «ehe der Welt Grund gelegt war» Gott schon geplant hatte, wie er sich uns offenbaren will und 2. Timotheus Kapitel 3, Vers 16 bestätigt, dass die ganze Heilige Schrift durch Gottes Wollen und Lenken entstanden ist.  

Die Zahl jener Christen, welche die Bibel als glaubwürdig ansehen, scheint immer geringer zu werden. Immer öfters höre ich, auch von Pfarrkolleginnen und Pfarrkollegen, dass die biblischen Texte ausschliesslich symbolisch und allegorisch, also in einem übertragenen Sinn zu verstehen seien. Es spiele keine Rolle, ob die Geschichten sich tatsächlich so zugetragen und ob die biblischen Personen je gelebt hätten. Wichtig sei nur, was die Moral der schönen Geschichten und biblischen Märchen sei. Wobei auch hier der menschliche Verstand selbst entscheiden könne, welche Werte heute noch gelten und welche nicht. Je nach Kultur und sozialem Umfeld des Lesenden könne dies variieren.

Dabei wird die Bibel öfters auf eine vergleichbare Stufe mit anderen sogenannt «Heiligen Schriften» anderer Religionen gesetzt, ganz nach dem Denkmuster der Parabel «Die blinden Männer und der Elefant». Diese Denkweise aus dem Buddhismus, Hinduismus und Jainismus meint Folgendes: Jeder erkennt in seiner Blindheit nur einen Teil des Elefanten, seine Wahrheit bzw. Realität, wie den Stosszahn oder ein Bein. In jeder heiligen Schrift sei nur ein Teilaspekt von Gott zu finden. Erst alle Religionen zusammen würden die ganze Wahrheit zeigen. Wenn die Bibel nur eine von vielen heiligen Schriften ist, welche uns einen Weg von vielen zur Erlösung aufzeigt, wird aus Jesus Christus, welcher laut Bibel alleiniger Herr über Himmel und Erde ist (Matthäus Kapitel 28, Vers 18), nur noch einer von vielen Propheten.

Unsere heutige westliche Gesellschaft drängt uns die Entscheidung auf: Gehört die Bibel unter unsere Füsse oder sollten wir uns vor dem Wort Gottes beugen? Das wäre aus meiner Sicht eine echte Bibeltreue.

Dieser Artikel erschien beim Forum Integriertes Christsein

Zum Thema:
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Datum: 29.09.2024
Autor: Sarah von Schuckmann-Müller
Quelle: insist-consulting.ch

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