Ansprechbar und verlässlich

Kinder brauchen einen Vater

Die Sozialarbeiterin Judith Aeschlimann suchte nach Antworten, wie Kontakt und Beziehung von Kindern mit deren inhaftierten Vätern am besten gestaltet werden soll. In diesem Zusammenhang wollte sie auch wissen, was eine gute Vater-Kind-Beziehung überhaupt ausmacht.
Vater-Sohn
Judith Aeschlimann

Judith Aeschlimann (39) aus Magden AG ist Sozialarbeiterin. Im Rahmen einer Bachelorarbeit untersuchte sie mit einer Mitstudentin das Thema «Rechte von Kindern nach Kontakt mit ihren inhaftierten Vätern». Sie entschied sich für dieses Thema, weil sie in ihrer beruflichen Tätigkeit immer wieder feststellte, wie sich eine mangelnde Beziehung zu einem oder beiden Elternteilen negativ auf einen Menschen auswirkt. Während ihrer Studien machte sie wertvolle Feststellungen. Erst einmal untersuchte sie ganz grundsätzlich, was gesunde Bindungen und Beziehungen zwischen Vätern und Kindern sind.

Die Rolle der Väter

«Die Rolle des Vaters hat sich in den letzten 30 oder 40 Jahren stark verändert», meint Aeschlimann. «Früher haben Väter primär die Rolle des Ernährers eingenommen und Mütter die des Erziehers.» Als Erzieherin pflegten die Mütter tiefere Bindungen zu den Kindern – der Vater schien da als Ansprechperson weniger wichtig zu sein.

Heute ist das anders. Viele Väter investieren sich aktiv in die Kindererziehung. «Die Forschung hat durch verschiedene Studien belegt, dass die Bindung zwischen Kind und Vater von grosser Bedeutung und für die gesunde Entwicklung des Kindes wichtig ist. Mütter sind den Kindern gefühlsmässig näher, dafür fördern Väter die Autonomie, Selbstständigkeit und Exploration.»

Die Bedeutung der Vaterbeziehung

Für einen gesunden Ablösungsprozess des Kindes von seinen Eltern spielt die Beziehung zum Vater eine wichtige Rolle. Dabei geht es nicht primär darum, dass der Vater möglichst viel anwesend ist, vielmehr ist sein Interesse für die Kinder und sein Einfühlungsvermögen gefragt. «Gemäss vorliegender Studien tragen Lebenseinstellung, Persönlichkeit und Charakter des Vaters zu einer tragfähigen Beziehung mit seinen Kindern bei.»

Somit hat selbst ein inhaftierter und deshalb abwesender Vater grosse Auswirkungen auf sein Kind. Wenn er sich bemüht, einen finanziellen Beitrag zu leisten oder sich aufrichtig um das Ergehen der Mutter und der Kinder erkundigt, hinterlässt das bei den Kindern einen positiven Eindruck. In diesem Zusammenhang hält Aeschlimann ganz grundsätzlich fest: «Interessant ist, dass ein Vater, welcher die Mutter in den häuslichen und erzieherischen Anbelangen unterstützt, in seiner Beziehung zu den Kindern einen Vorteil schafft.»

Viele Eigenarten von Väter sind wichtig

In vielen Bereichen spielt die Beziehung zum Vater für das Kind eine wichtige Rolle. Hierzu erwähnt Aeschlimann ein Thema: «Väter lassen sich auf Wettkämpfe ein und finden sich oft plötzlich dabei, wie sie mit ihren Kindern auf spielerische oder auch herausfordernde Weise 'kämpfen'.» Einige mögen diese Rangeleien mit «das Kind im Mann» abtun, Studien zufolge haben sie aber eine tiefere Bedeutung. «Durch diesse 'Toben und Kämpfen' lernen Kinder einen guten Umgang in Konfliktsituationen.»

Für Kinder ist auch wichtig, verschiedene Personen und Charaktere als erwachsene Gegenüber zu haben. So lernen sie, dass Menschen unterschiedliche Neigungen, Stärken und auch Begrenzungen haben und damit unterschiedliche Beziehungen nötig sind. Durch das Präsentsein des Einfühlungsvermögens von Vater und Mutter ist da schon sehr viel gegeben.

Wenn der Vater im Gefängnis ist

Es gibt viele Gründe für das Fehlen des Vaters: Die Eltern leben getrennt, der Vater ist verstorben oder im Gefängnis. In diesem Fall werden die Kinder oft von Kameraden ausgelacht und die familiäre Situation ist meist schwierig. Die Mutter ist überfordert, das finanzielle Einkommen nicht gesichert und die Kinder fragen sich: «Mein Vater ist weg. Ist das meine Schuld?» Auch Besuche im Gefängnis sind für manche Kinder belastend; anwesende Polizisten, ungewohnte Räumlichkeiten und manchmal sogar die Glasscheibe, welche einen körperlichen Kontakt verhindern. Ergeben diese Besuche überhaupt einen Sinn?

Die Betreuung von Kindern inhaftierter Väter ist neben den hohen Gefängniskosten eine weitere Belastung, welche von der öffentlichen Hand in der Deutschschweiz nicht bezahlt werden soll. Es ist aber ein Investment in die Zukunft der Kinder. «Es gibt eine Tendenz, dass Kinder von straffälligen Vätern mit höherer Wahrscheinlichkeit später selbst straffällig werden. Bei guter Betreuung der Kinder und Bearbeitung des Themas Straffälligkeit mit dem Vater zusammen, wird das Risiko hierzu stark reduziert.»

Die ersehnte Vaterfigur

Wächst ein Kind ohne Vater auf, wird es sich einen Vaterersatz suchen. Oft führt diese Suche zu Problemen. «Studien belegen, dass solche Kinder einem Risiko ausgesetzt sind, dadurch kriminell zu werden, Drogen zu konsumieren oder auf andere Weise Schaden zu erleiden.» Wenn sich ein Mann in eine gesunde Beziehung zu einem «vaterlosen» Kind investiert, kann dies dessen Leben nachhaltig positiv prägen.

Auf die Frage, welchen Rat Judith Aeschlimann vielbeschäftigten Vätern geben würde, antwortet sie: «Es ist wichtig, dass der Vater Verantwortung für die Familie trägt. Das bedeutet nicht, dass er alles tun oder entscheiden muss, aber ein Vater, der seine Anwesenheit und seine Bereitschaft signalisiert, Verantwortung zu übernehmen und in Krisenmomenten Rückgrat zeigt, ist für die Kinder sehr wichtig.»

Aeschlimann betont auch die Wichtigkeit für Kinder und Jugendliche, einen ansprechbaren und verlässlichen Vater zu haben. «Sie brauchen das Gefühl, dass sie Zugang zu ihrem Vater haben und er sich für ihre Probleme interessiert – auch wenn ein stundenlanges Gespräch aus zeitlichen Gründen unmöglich ist.»

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Datum: 30.04.2019
Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet

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