Chrischona-Gemeinde in Sion

60plus-Hirte mit seiner 50plus-Herde fröhlich unterwegs

Es ist eine Tatsache: Kirchgemeinden landauf, landab überaltern und werden immer kleiner. So auch die Chrischona-Gemeinde in Sion. Über einen Strategiewechsel versucht sie, die Entwicklung umzukehren. Hans Lenzi nahm einen Augenschein.
Matthias Radloff
Chrischona-Gemeinde in Sion
Eglise évangélique mosaïque de Sion

Die grösste Veränderung in diesem Strategiewechsel: Seit Januar ist die offizielle Sprache französisch. Damit passt sich die Chrischona Sion nach fast fünfzig Jahren ihrer Sprachumgebung an. Trotzdem bleibt sie attraktiv: Über Simultan-Übersetzung werden deutsch- oder englischsprechende Gäste ins Gottesdienst-Geschehen eingebunden. So hofft man auf Zuwachs, zum Beispiel über regelmässige Besuche durch Touristen.

Frohgemut «en route»

«Ich bleibe optimistisch», sagt Pfarrer Matthias Radloff. «Unsere Lokalkirche hat seit ihrer Gründung 1973 eine bewegte Geschichte hingelegt. In ihren besten Zeiten hat sie an Sonntagen bis zu 180 Teilnehmer gezählt, war aktiv in der Frauen- und Jugendarbeit, zeigte Präsenz auf über hundert Märkten im Ober- und Unterwallis.» Seit zehn Jahren aber ist die Frequenz an Interessierten abnehmend.

Radloff vermutet dahinter ein verändertes Freizeitverhalten: Im zunehmend hektisch werdenden Alltag finden deutschsprechende Touristen – sie waren früher ein fester Bestandteil der Gemeinde – immer weniger Anreiz, den «Ruhetag des Herrn» an der Rue de la Blancherie zu begehen. Schliesslich gilt es ja, die Tages- oder Saisonkarte für die Ski- und Seilbahnen zu amortisieren. Der Zweimeter-Mann: «Heute hören im Durchschnitt noch knapp 20 Leute meine Predigt, nur eine Person ist unter 50, alle andern sind älter. Davon sind die Mehrzahl bilingual oder gar ausschliesslich französischsprachig. So war es nur logisch, sich den Gegebenheiten anzupassen und ganz auf unsere Umgebungssprache umzustellen, wie heute fast überall im Unterwallis. Konsequenterweise haben wir auch das Logo und die Kirchenbezeichnung geändert. Wir heissen nun 'Eglise évangélique mosaïque de Sion'.»

Freikirchlichen Wind im Wallis wehen lassen

Weil er sich seiner Berufung verpflichtet fühlt und weil gerade ältere Menschen sich für Fragen rund um Gott, dem Tod und dem Leben danach interessieren, hat sich der promovierte Geistliche bereit erklärt, seinen Job noch bis 67 zu verlängern. Er will den freikirchlichen Wind Gottes in Sion und Umgebung weiterwehen lassen.

«Bei nur noch 19 offiziellen Mitgliedern ist es offen, wie es mit der Gemeinde nachher weitergeht», ist sich der Wahlschweizer bewusst. «Denn der Beruf des Pfarrers ist heute auch nicht mehr derselbe wie früher. Er hat an Autorität, wie derjenige des Arztes oder des Lehrers, verloren. Man ist ständig der Kritik ausgesetzt, die Predigten werden hinterfragt und diskutiert. Das muss man aushalten können.»

Radloff ist für Zusammenarbeit offen: «Wir sind ökumenisch unterwegs, machen bei der 'église emigrant' ebenso mit wie bei den überkonfessionellen Gottesdiensten. Daneben hab ich mir beim Dienstantritt in der Kantonshauptstadt ausbedungen, dass ich wöchentlich acht Stunden so genannten Sozialdienst absolvieren kann, also Arbeit unter Randständigen, Migranten und anderem.» Regelmässig besucht der Chrischona-Pastor auch die betagten Gemeindemitglieder seiner Gemeinde.

«Unsere Rente reicht nicht für dieses teure Land»

Sicher weiss Radloff, dass er und seine Frau sich in zwei Jahren aus unserm Land verabschieden müssen: «Unsere Rente reicht für dieses teure Land nicht. Wir müssen uns nach Frankreich oder Deutschland zurückziehen.» Tatsächlich war das Ehepaar jahrelang im Ausland und an einer biblischen Weiterbildungsstätte tätig, was nur wenig Rückstellungen erlaubte.

Sein Glaube an die Wirkmächtigkeit des göttlichen Worts ist dennoch ungebrochen. So lautet einer seiner biblischen Lieblingsverse: «Mein Haus wird heissen ein Bethaus allen Völkern.» (Jesaja Kapitel 56, Vers 7) Er ist überzeugt, dass momentane Durchhänger nicht das Ende aller Tage bedeuten.

In diesem Sinne zieht die Frohnatur seine täglichen Kreise, weiss, dass alles menschliche Bemühen immer Stückwerk bleibt, vergisst nie, dass Gott immer «im Regiment» sitzt und «an seinem Segen eh immer alles gelegen ist.» Genauso sollten 50plus-Zeitgenossen stets unterwegs sein!

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Datum: 21.08.2019
Autor: Hans Lenzi
Quelle: Livenet

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