Livenet-Talk

Sind Freikirchen selber schuld an negativen Schlagzeilen?

Der Medienexperte Markus Baumgartner macht in einem Praxisbuch die christlichen Gemeinden und Organisationen verantwortlich für negative Artikel und Sendungen. Ein «Livenet-Talk» nahm sich des Problems an.
Freikirchen werden in nationalen Medien oft negativ dargestellt.
Buchcover «So machen Kirchen Schlagzeilen»
Markus Baumgartner: «Die christlichen Kernbotschaften werden nicht verstanden.»
Peter Schneeberger (Bild: feg.ch)
Georg Otto Schmid

Im «Livenet-Talk» diskutierten am 3. November in Bern der Verfasser des Buches, Markus Baumgartner, der Präsident des Freikirchenverbandes, Peter Schneeberger, und der Religionsexperte Georg Otto Schmid über das Praxisbuch «Wie Kirchen Schlagzeilen machen». Im Zentrum stand die Frage, was insbesondere Freikirchen zu einem besseren Image in der Öffentlichkeit beitragen könnten.

Die Heilsarmee nachahmen?

Das beste Beispiel bietet nach wie vor die Heilsarmee, die mit ihrem Sozialwerk und ihrem diakonischen Engagement breite Anerkennung geniesst und mit ihren Uniformen jederzeit wahrgenommen wird. Sie zu imitieren, ist keine Option, aber das Handbuch bietet nach Ansicht von Georg Otto Schmid gerade durch die 10 Tipps für kirchliche Öffentlichkeitsarbeit eine gute Grundlage für die Medienarbeit vor Ort, insbesondere auch in Krisensituationen. Sie seien sehr praxisorientiert, betonte Schmid in Bern.

Ein Wahrnehmungsproblem

Obwohl Freikirchen in der Gesellschaft nur eine kleine Minderheit darstellen, ist es für Peter Schneeberger, Präsident des VFG – Freikirchen Schweiz, dennoch erschreckend, dass 40 Prozent der Schweizer Bevölkerung keine Freikirche kennen. Er sieht einen Auftrag, das zu ändern, «denn Freikirchen machen eine gute Arbeit». Gerade auch im sozialen Bereich.

Kreative Aktionen kommen an

Für Markus Baumgartner ist es wichtig, dass Kirchen ganz allgemein proaktiv über ihre Arbeit und Ziele informieren, bevor sie durch ein Ereignis in die Defensive geraten und sich verteidigen müssen. Denn gerade die Boulevardmedien haben einen Hang zur Skandalisierung, wie Georg Otto Schmid bestätigte. Und sie tendierten dazu, Clichés aufzuwärmen. Er wies darauf hin, dass gerade kreative Aktionen in den Regionalmedien gut aufgenommen werden. Schwieriger hätten es politische Stellungnahmen, die im grossen Kommunikationssumpf gerne untergingen.

Gelungene Beispiele

Einig war sich die Runde darin: Was man emotional spannend findet, damit beschäftigt man sich leichter. Sowohl Relevanz als auch Emotionalität sind aber bei Kirchen oft nicht gegeben. Dennoch stehen Kirchen vor der Herausforderung, relevant und ansprechend zu sein. Markus Baumgartner verwies auf das von ihm produzierte Dienstagsmail, das im Sinne einer Anregung wöchentlich Beispiele von erfolgreicher Medienarbeit publiziert.

Was mich fasziniert...

Zur Frage, ob sich Christen in Wort und Tag zu brav äusserten, um medial wahrgenommen zu werden, sagte Peter Schneeberger, Kirchen müssten sich fokussieren. Er verwies auf das positive und öffentlichkeitswirksame Beispiel des Transparents von Stefan Maag an der Berner Reithalle. «Was aber in Freikirchen tagtäglich diakonisch umgesetzt wird, fasziniert mich noch mehr.» Was durch die Heilsarmee geschehe, werde auch in vielen Freikirchen gelebt. Es sei aber schwierig, dafür das Interesse der grossen Medien zu finden. Dieses ziele oft auf Beispiele kirchlichen Lebens, die skandalträchtig seien. Als Beispiel nannte er eine extreme Kirche in den USA, die einer Rundschau-Sendung über eine radikale Moschee in Winterthur gegenübergestellt wurde.

Moral statt Erlösung?

Georg Schmid konterte, dass in einer im Handbuch zitierten Umfrage 2 von 5 Personen Begegnungen mit Freikirchenangehörigen negativ erleben. Markus Baumgartner führt dies darauf zurück, dass viele Freikirchler als Verfechter einer strengen Moralvorstellung statt mit der Erfahrung von Erlösung und Befreiung erlebt werden. Dafür äusserte Peter Schneeberger Verständnis. Zwar sei es wichtig, dass sich Christen für den Schutz des Lebens einsetzen, aber ihre Bemühungen würden gemeinhin als Moralismus wahrgenommen.

Einen Überraschungseffekt auslösen?

Auf die Frage von Moderator Florian Wüthrich, wie sich freikirchliche Christen im Blick auf die öffentliche Diskussion über die Ehe für alle verhalten sollten, machte Georg Otto Schmid einen provokativen Vorschlag: «Macht einen tapferen Schritt und setzt euch für die Ehe für alle ein.» Denn bislang würden die Freikirchen stark an ihrem Widerstand gegen Homosexualität wahrgenommen. Das werde sich aber im Laufe der Zeit ändern wie der Widerstand gegen die Popmusik vor zwei Generationen. Das gelte auch für die Beurteilung der Homosexualität, ist er überzeugt.

Eine Debatte als Chance

Peter Schneeberger sieht dagegen in der bevorstehenden Debatte die Chance, die Ehe als etwas Schönes und Faszinierendes zu promoten. Dass sich die Gesellschaft mit der Ehe beschäftigen will, sei zuerst einmal positiv zu werten. Aus freikirchlicher Sicht heisse das: Ehe fördern, sie leben und so gestalten, dass sie wieder erstrebenswert wird.

Markus Baumgartner unterstützte Schmid insofern, als er davor warnte, die Ehe für alle aus moralischen Gründen zu bekämpfen. «Man muss sie gesellschaftlich akzeptieren». Besser sei es zu zeigen, was in der Ehe alles drin ist und wie eine Ehe gelingen kann. Ganz generell müssten die Freikirchen an ihrer Glaubwürdigkeit arbeiten. Zu schnell würden sie heute in die Sektenecke gestellt. Wenn Kritik komme, «darf man nicht den Fehler machen, Fehler nicht zuzugeben». Peter Schneeberger verwies darauf hin, dass die vom VFG unlängst eingerichtete Clearingstelle für Menschen, die in ihrer Gemeinde Schaden genommen haben, beispielhaft dafür stehe, dass sich auch Freikirchen kritisch hinterfragen lassen.

Zum Livenet-Talk:

 

Datum: 07.11.2018
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

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