Zukunft der Kirche

Gemeinschaft mit göttlichem Funken statt Event-Fabrik

Als Pfarrei-Seelsorger, Alpinist und aktiver Dorfbewohner wollte Livenet mehr über Eric Petrinis Gedanken zur Zukunft der Kirche erfahren. Der
Eric Petrini / Bild: zvg

Forschungsassistent ist auch an der Theologischen Hochschule in Chur tätig und nicht zuletzt dadurch voll an diesen Fragen dran.

Es ist eine zentrale Frage in der heutigen Zeit: wie sich die Kirchen neu aufstellen können und nicht durch Mitglieder-Schwund untergehen?

Eric Petrini bewegt sich nicht nur im Alpenverein, sondern auch in Kletterhallen und an Felsen draussen und hat mit einigen Kollegen die Initiative 10forFuture gegründet, die sich mit konkreten Jahreszielen für Klimaneutralität einsetzt. Bei der ersten Schweizer Gedenkfeier für einen totgesagten Gletscher packte er damals Mikrofonanlage, Brot und Most und stieg so auf den Pizol. Er steigt jedoch ebenso auf die Kanzel und will ein kirchlicher Brückenbauer sein.

Livenet war im Austausch mit Eric Petrini, dem energievollen römisch-katholischen Seelsorger aus Mels bei Sargans.

Ist die Präsenz der Kirchen in der Schweiz für Sie genügend, die Kirche noch im Dorf?
Eric Petrini:
Die Präsenz der Kirchen ist ungebrochen vorhanden. Für gewisse Rituale werden die Kirchen immer gebraucht, und das kirchliche Brauchtum ist sicherlich für viele Schweizer ein Teil ihrer Identität, wobei natürlich von Jahr zu Jahr die Nachfrage sinkt; von Gottesdienstbesuchen, Eheschliessungen, Taufen oder Sternsingern… Die Kirche ist irrelevant geworden, weil das Leben einfach woanders stattfindet. Wir geben unverständlich aufgeblasene Antworten auf Fragen, die niemand gestellt hat. Die wahren Fragen des Lebens werden ausgeklammert: Wenn Ehen scheitern. Klimaschutz. Die Fragen nach Schuld und Versöhnung. Selbstzweifel. Gotteszweifel. Die Angst vor Überfremdung und gesellschaftlichen Identitätsverlust, oder ob es richtig ist, Waffen zu exportieren. Das Kuchenbuffet des Seniorennachmittags ist wichtiger als die Frage, wie ein Ritual verständlich, lebensnah und sinnstiftend gefeiert werden kann. Es ist wichtiger, den Status Quo zu verwalten als sich wirklich Zeit zu nehmen für ein tiefes und eingehendes Trauergespräch. Viele Seelsorger haben verlernt, wirklich zuzuhören. Gottesdienstbesucher, ein immer kleiner werdender Teil der Bevölkerung, werden mit ihrer Suche nach Sinn, Weg und Antwort auf ihre Fragen zum Teil allein gelassen. Viele suchen ihr Heil in Freikirchen oder in esoterischen Kreisen, im Sport, in der Natur, im Alkohol oder in einer Vergnügungssucht.

Was würden Sie denn als kirchlichen Hauptauftrag bezeichnen?
Ich möchte hier kurz unterscheiden zwischen dem Auftrag, den die Kirche als Religionsgemeinschaft wahrnehmen sollte, und den Auftrag, der an die Institution Kirche gerichtet ist. Jeder Mensch glaubt an irgendetwas oder an irgendjemanden. Der göttliche Funke ist allen Menschen in die Seele gelegt. Wir Christen erkennen in diesen Funken göttliche Gnade und darum nennen wir uns auch Kinder Gottes. Aus diesem Funken ein Feuer werden zu lassen, ist Grundaufgabe des Lebens. Und dieses Feuer mit anderen zu teilen, darüber zu sprechen, zu vertiefen, zu feiern und letztlich auch weiterzugeben, ist Grundaufgabe einer religiösen Gemeinschaft; dem Menschen bei seiner Suche nach Sinn und Erfüllung zu begleiten.

Die Institution Kirche nun hat den Auftrag, diejenigen Menschen, die Ähnliches glauben oder Ähnliches suchen, zusammenzuführen – auch und vor allem im Gottesdienst. Wir sind kein Catering-Unternehmen und keine Eventfabrik. Das bedeutet auch, dass die Kirche eine gewisse Spannung tragen muss zwischen dem Suchen nach Stütze, Tradition und Beheimatung auf der einen und dem Aufbruch, dem Neuübersetzen und der geistigen Erneuerung auf der anderen Seite.

Die Kirche hat an Einfluss verloren, was sollte sie gegen den Mitgliederschwund unternehmen?
Wenn ich darauf eine Antwort hätte… Anknüpfend an die Vorüberlegungen muss die Kirche wieder lernen, den Menschen in seiner Zerrissenheit und Spannungen abzuholen. Die Kirchgänger müssen mehr empfinden als: Es war ein schöner Gottesdienst. Man muss die Begeisterung des Musikers spüren; und die Begeisterung des Gottesdienstvorstehers. Ich würde mir eine Kirche wünschen, die nicht mit Dogmen und Gesetzen argumentiert, sondern mit der phantastischen Fülle des Glaubens; weniger «du musst», sondern mehr «du darfst».

Auch der Klerus, kirchliche Mitarbeiter im Speziellen, bräuchten wieder eine grössere Vertrauensbasis in der Bevölkerung – was machen?
Ich möchte einen Vergleich anstellen, der vielleicht einiges wiederspiegelt. Wenn ich ein Mitglied der Feuerwehr bin, dann trage ich die Uniform mit Stolz. Aber – ein Feuerwehrmann oder eine Feuerwehrfrau ist nur dann ein echter Teil der Feuerwehr, wenn man dorthin geht, wo es brennt. Und wenn man bleibt, bis der Brand gelöscht ist. Einmal im Monat eine Pflichtübung absolvieren, macht noch keine Feuerwehr. Und ein(e) echte(r) Feuerwehrmann/-frau hat nicht nur den Piepser stets griffbreit, sondern steht nachts auf, wenn er/sie gebraucht wird. Das Gleiche gilt für einen glaubhaften Stand der Kleriker und Seelsorger.

Sie haben sich mit der ersten Gedenkfeier als Gletscher-Pfarrer geoutet. Schaden oder helfen solche Aktionen dem Image der Kirche?
Nun, das ist nicht ganz einfach. Wir leben nun mal in einer Gesellschaft, die gewissen Normen und einer gewissen Ethik verpflichtet ist – und möchten uns innerhalb dieser Normen möglichst frei bewegen. Eine Kirche, die nun von der Kanzel gewisse gesellschaftliche Verhaltensweisen anprangert, wird natürlich selber sehr kritisch betrachtet. Wenn die Kirche den Kindern sagt: «Du sollst nicht lügen», dann wird das in der Regel begrüsst. Wenn die Kirche sagt: «Du sollst die Umwelt nicht verschmutzen», dann wird es schon spannender. Und wenn nun ein Kirchenvertreter sagt: «Du sollst kein Auto fahren, um das Klima zu schützen», stehe ich an einem Scheidepunkt. Aber solange dieser Kirchenvertreter glaubhaft ist und selber kein Auto fährt, ist er wenigstens ein Stolperstein (im biblischen Sinne). Solche Aktionen wie die Gedenkfeier wecken wieder ein Bewusstsein dafür, dass die Kirche für klare Haltungen steht und neben der religiösen Ritualpflege auch einen ethischen, gesellschaftlich relevanten Inhalt transportieren kann; wie diese Aktion, die auf Unrecht hinwies.

Kommentar des Autors

Die Kirche als religiöse Institution hätte so viel zu geben und so viel zu bieten. Sie könnte den Menschen so sehr helfen, Wege zu gehen. Die Kirche als Mittlerin zwischen Mensch und Gott. Wenn die Kirche ihre Funktion nicht verlieren will, muss sie ihre Kraft wieder bei Gott finden. Nicht in neuen Anlässen oder aufpolierten Ritualen. Sondern sie muss wieder Gott in ihrer Mitte finden und den Heiligen Geist in ihrem Zentrum atmen lassen.

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