Raus aus der Sexsucht

Was pornosüchtige Christen von drogenabhängigen Ärzten lernen können

Jeder ahnt es, viele wissen es und die Betroffenen leiden mit ihrem ganzen Umfeld darunter: Christen, auch «professionelle» wie Diakone und Pastoren, sind mindestens so oft sexsüchtig wie andere Menschen. Der ehemalige US-Pastor John Doyel zeigt einen überraschenden Lösungsansatz: das Lernen von anderen Süchtigen, wie zum Beispiel von drogenabhängigen Medizinern.
Leiden
John Doyel

John Doyel weiss, wovon er spricht. Der ehemalige Hauptpastor einer Gemeinde in Columbus, Ohio, musste seinen Dienst wegen seiner jahrelangen Pornografie-Abhängigkeit aufgeben. Das ist Jahre her und seit 13 Jahren bezeichnet er sich als geheilt. Er arbeitet heute als Therapeut mit Menschen, die sexsüchtig sind und hilft ihnen mit seinem kostenpflichtigen Coachingdienst «180recover». Für alle Mitbetroffenen hat er eine gute und eine schlechte Nachricht: «Die gute Nachricht ist, dass Sie sind nicht allein sind. Wahrscheinlich kämpft die Mehrzahl Ihrer Freunde ebenfalls. Die schlechte Nachricht ist, dass solche Abhängigkeit Ihr Leben, Ihre Ehe oder Ihren Dienst zerstören kann.» Ein etwas überraschender Lösungsansatz von John Doyel ist: Lernen von drogenabhängigen Ärzten.

Kirchliches Tabuthema Sexsucht

Die Zahlen (laut Weissem Kreuz) sind auch für den deutschsprachigen Raum ernüchternd: 200'000 bis 500'000 Deutsche werden als internet-sexsüchtig angesehen. Gleichzeitig konsumieren über 17 Prozent der Deutschen täglich pornografische Angebote im Netz. Die meisten von ihnen sind Männer. Und – diesen Zusammenhang betont John Doyel: dieses Phänomen macht nicht vor den Kirchentüren halt. Er zitiert dazu den Barna-Report von 2016: «Die meisten Pastoren (57%) und Jugendpastoren (64%) geben zu, dass sie mit Pornografie zu kämpfen hatten oder haben. Ungefähr 12% der Jugendpastoren und 5% der Pastoren bezeichnen sich als pornografiesüchtig.» Doyel schätzt dies noch für zu niedrig ein. Er macht deutlich, dass das Ganze zwar immer noch ein Tabuthema für Christen ist. Gleichzeitig sei die Verfügbarkeit aber ungleich höher als bei «normalen» Drogen: Pornografische Inhalte kosten praktisch kein Geld, sind überall verfügbar und man riecht noch nicht einmal nach Alkohol…

Wenn Helfer Hilfe brauchen

Aber sollten Christen «nicht im Fleisch, sondern im Geist» leben (Römer, Kapitel 8, Vers 9)? Natürlich ist diese Aussage biblisch, doch im ungünstigen Fall wird durch diesen Anspruch nur die Spirale aus Schuld, Scham und erneutem Versagen angetrieben. Und Doyel zeigt, dass gerade bei Pastoren sowohl die Versuchungen als auch die Abhängigkeiten sogar stärker sind als bei Otto-normal-Christen. Er vergleicht dies mit der signifikant höheren Rate von Drogenabhängigkeit bei Ärzten.

Als Gründe beschreibt Doyel, dass beide Berufsgruppen «unter ständigem Stress stehen, lange in emotional herausfordernden Situationen arbeiten und permanent mit Misserfolgen oder auch Burn-out konfrontiert sind». Und die Erwartungshaltung vieler Kirchen und Gemeinden an ihre hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hilft nicht unbedingt bei der Erleichterung dieser Lage.

Hoffnungsvoller Ausblick

Viele US-Krankenhäuser können inzwischen auf deutliche Verbesserung und Heilungen verweisen. Alles beginnt damit, dass ein abhängiger Arzt sich und anderen erst einmal eingesteht – und eingestehen darf! –, dass er süchtig ist. Dann wird ein Helferteam um den Arzt herum aufgebaut, das aus Kollegen, Unabhängigen und natürlich der eigenen Familie besteht. Und es gibt regelmässig Kontrollen, die dem Betroffenen helfen, seinen Ausstieg aus den Drogen selbst ernst zu nehmen. In ihrem Buch zum Thema, «It takes a family – Eine Familie ist nötig», zeigt Debra Jay erstaunliche Erfolge auf: 78% der Teilnehmer hatten keine Rückfälle, 15% hatten höchstens einen und nur 7% mehr als einen Rückfall.

Auf dieser Basis entwickelte Doyel sein Programm «180recover». Er dachte, wenn Krankenhäuser so viel Energie in die Heilung ihrer Ärzte investierten, dann sollten Christen in ihren Gemeinden das ebenfalls tun.

Elemente der Hilfe

Elemente, die betroffenen sexsüchtigen Christen weiterhelfen, sind unter anderem:

  • Betroffene Christen, auch Hauptamtliche, werden zu keiner Zeit kriminalisiert.
  • Basis der Hilfe ist das Wissen, dass Gott «mit der Versuchung auch den Ausgang schaffen» wird (1. Korinther, Kapitel 10, Vers 13).
  • Das Verhalten der Sexsüchtigen ist nicht gesund, aber es ist auch kein Weltuntergang. Und: sie sind nicht allein.
  • Sie können jederzeit Unterstützung in Anspruch nehmen und informieren ihre Kleingruppe täglich per Handy über ihren aktuellen Zustand.
  • Auf diese Weise können sie auch um Gebet bitten.
  • Regelmässig legen sie Rechenschaft darüber ab, wie sie mit ihrer Sucht umgegangen sind. Neben klaren Grenzen gibt es hierbei ebenso klare Konsequenzen.

Das Ganze ist kein einfacher Prozess. Aber regelmässige Unterstützung, Ermutigung und Rechenschaft gegenüber anderen Christen, die den Kampf mit der Sexsucht verstehen, führt zu langfristiger Heilung. Ein Pastor berichtet: «Bei mir dauerte es zehn Monate lang, bis ich mit meinem alten Menschen und dem alten Denken brechen konnte, die mein Leben so lange beherrscht hatten…»

Der erste Schritt ist jedoch in jedem Fall eine neue Ehrlichkeit. Das beinhaltet zunächst einmal das Eingeständnis der Betroffenen, dass sie sexsüchtig sind. Aber gleichzeitig ist die Ehrlichkeit von Kirchen und Gemeinden nötig, Sexsucht nicht mit einem entsetzten «Das hätten wir aber von dir nie gedacht» zu stigmatisieren und den Betroffenen auszusortieren, sondern für ihn da zu sein und ihm zu helfen. In dem Wissen, dass es viele gibt, die mit diesem Problem kämpfen.

Zum Thema:
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Datum: 08.04.2019
Autor: Hauke Burgarth / John Doyel
Quelle: Livenet / Christianity Today

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