«Ja» zum Schutz Homosexueller

Reaktionen und Hoffnungen nach dem Volksentscheid

In der Schweiz ist es künftig strafbar, Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung zu diskriminieren. 63 Prozent sprachen sich für die Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm aus. Was ändert nun konkret und worauf hoffen Gewinner und Verlierer?
Plakat der Befürworter-Kampagne zur Erweiterung der Antirassismus-Strafnorm (Bild: Sylvia Stam, kath.ch)
Er hatte die Gesetzesänderung angestossen: Mathias Reynard, SP Wallis
Marc Jost (Bild: zVg)

Das Stimmvolk hat am Sonntag die Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm deutlich gutgeheissen. Der Ja-Stimmen-Anteil lag bei 63,1 Prozent. Besonders hoch war die Zustimmung für die Vorlage in der Westschweiz. Das deutlichste Ja verzeichnete der Kanton Waadt mit 80,2 Prozent, gefolgt von den Kantonen Genf mit 76,3 Prozent, Jura mit 73,8 Prozent und Neuenburg mit 73,7 Prozent. In der Deutschschweiz lag Basel-Stadt mit 71,9 Prozent an der Spitze.

Ein Nein resultierte in drei Kantonen. Es handelt sich um die Kantone Appenzell-Innerrhoden (54,1 Prozent), Schwyz (51,7 Prozent) und Uri (51,1 Prozent). In den Kantonen Obwalden, Nidwalden, Glarus, Appenzell-Ausserrhoden und Thurgau sagte nur eine knappe Mehrheit Ja.

Erweiterung um sexuelle Orientierung

Mit der Zustimmung des Stimmvolkes wird nun die Anti-Rassismus-Strafnorm erweitert. Wer dagegen verstösst, riskiert eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe. Das ist künftig auch bei Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung der Fall (wie dies im Einzelfall beurteilt werden könnte, lesen Sie ganz am Ende dieses Texts unter «Neue Strafnorm – Was ist noch erlaubt?»). Der Abstimmungskampf drehte sich um die Meinungsäusserungsfreiheit und deren Grenzen. Die Gegnerinnen und Gegner einer Erweiterung der Strafnorm sprachen von einem «Zensurgesetz».

Die Befürworterinnen und Befürworter betonten auf der anderen Seite, auch für sie sei die Meinungsäusserungsfreiheit ein hohes Gut. Diese gelte aber nicht absolut. In der Verfassung stehe ebenso, dass die Würde des Menschen zu achten und zu schützen sei. Man könne sich nicht auf die Meinungsäusserungsfreiheit berufen, um die Menschenwürde anderer anzugreifen. «Hass ist keine Meinung», lautete der Slogan dazu. Die Gesetzesänderung angestossen hatte der Walliser SP-Nationalrat Mathias Reynard. Der Bundesrat und das Parlament befürworteten diese.

Gegner hoffen auf massvolle Umsetzung

Die EDU, welche das Referendum zusammen mit der Jungen SVP ergriffen hatte, akzeptiert die Zustimmung des Souveräns zur Erweiterung der Rassismus-Strafnorm, schreibt die Partei in einer Medienmitteilung. «Wir bedauern den Eingriff in die Meinungs-, Gewissens- und Gewerbefreiheit und werden die Befürworter beim Wort nehmen, die beschwichtigend sagten, die Gesetzerweiterung werde nur ganz selten zum Einsatz kommen.» Die EDU appelliert an die Sensibilität der politischen Kräfte und Gerichte. Insbesondere KMU-Betriebe und Gewerbetreibende dürften aufgrund der erweiterten Strafnorm nicht vermehrt in ihrer Entscheidungsfreiheit und der Unternehmerfreiheit bevormundet werden.

Dass der Nein-Anteil höher lag als dies in Prognosen vorausgesagt wurde, wertet die EDU als «Achtungserfolg».

SEA: Druck auf kritische Meinungen nimmt zu

Für die Schweizerische Evangelische Allianz SEA ist Hass in keiner Form und gegen keinen Menschen tolerierbar, wie sie gestern nach der Abstimmung verlauten liess. Sie hoffe, dass die Erwartungen der Befürworter nach einem besseren Schutz sexueller Minderheiten vor Hass tatsächlich in Erfüllung gehen. Weiter schreibt die SEA: «Auf der anderen Seite bleiben wir der Meinung, dass der bereits weitgehende Schutz aller Menschen in der Schweiz auch ohne die Erweiterung gewährleistet gewesen wäre. Es ist fragwürdig, die Strafnorm nur für eine spezifische Gruppe zu erweitern.»

Es sei zu befürchten, dass der neue Gesetzesartikel den Druck auf Menschen erhöhe, die aus Glaubens- oder Gewissensgründen eine kritische Meinung in Bezug auf bestimmte sexuelle Orientierungen äussern oder eine Dienstleistung nicht erbringen möchten. «Schon heute werden von Christen vertretene Werte und Meinungen zum Beispiel zum Lebensschutz oder in anderen ethischen Fragen mit offensichtlicher Intoleranz oder sogar Gewalt bekämpft.»
Der Dachverband der evangelischen Christen hofft, dass jene Juristinnen und Juristen Recht behalten, die durch den neuen Gesetzesartikel weder die Meinungs- noch die Religionsfreiheit beschnitten sehen. Die Umsetzung und Durchsetzung der Erweiterung soll genauso massvoll geschehen wie bei der bisherigen Anwendung der Strafnorm.

Marc Jost hofft auf faire Debatte um «Ehe für alle»

Zudem sei die Schweizerische Evangelische Allianz wichtig, dass die laufende Debatte um die «Ehe für alle» trotz Meinungsverschiedenheiten in Freiheit und mit Respekt geführt werden könne. Die Differenzierung an und für sich – die ungleiche Behandlung von Menschen in ungleichen Umständen – im Umgang mit verschiedenen sexuellen Partnerschaften sei (noch) keine Diskriminierung, betont SEA-Generalsekretär Marc Jost. Der EVP-Politiker aus Thun stand durch ein grosses Interview mit seinem homosexuellen Vater in der NZZ (Livenet berichtete) vor der Abstimmung stark in der Öffentlichkeit.

Das Thema «Homosexualität» wird die Politik tatsächlich weiterhin beschäftigen. Als nächstes steht im Parlament die Beratung zur Vorlage «Ehe für alle» an. Diese würde es gleichgeschlechtlichen Paaren ermöglichen, eine Ehe zu schliessen. Heute können diese ihre Partnerschaft lediglich registrieren lassen. Zudem besteht in eingetragenen Partnerschaften kein Recht auf die gemeinschaftliche Adoption von Kindern.

Neue Strafnorm – Was ist noch erlaubt?

Bereits heute macht sich unter Umständen strafbar, wer Einzelpersonen oder klar definierte Gruppen herabwürdigt. Wer dagegen «die Homosexuellen» herabwürdigt, hat nichts zu befürchten. Das wird sich nun ändern. Was genau noch erlaubt und was verboten sein wird, sorgte im Abstimmungskampf für Kontroversen. Die Auslegung wird Sache der Gerichte sein. Die Anti-Rassismus-Strafnorm hat in der heutigen Form zu durchschnittlich 24 Verurteilungen pro Jahr geführt.

Gemäss der Praxis des Bundesgerichts müssen die diskriminierenden Äusserungen öffentlich sein und vorsätzlich, damit sich jemand strafbar macht. Ausserdem müssen sie so heftig sein, dass sie den Kern der Menschenwürde tangieren. Witze am Stammtisch sind nicht betroffen, sofern Unbeteiligte nicht mithören müssen. Auch wer sich beispielsweise öffentlich gegen die Ehe für homosexuelle Paare ausspricht, riskiert keine Strafe. Bestraft werden könnte dagegen Hetze gegen «die Homosexuellen» im Internet. Eine Strafe würde auch riskieren, wer jemandem aufgrund der sexuellen Orientierung eine Leistung verweigert, die für die Allgemeinheit bestimmt ist. Das könnte unter Umständen auch ein Lokal betreffen, das Heterosexuelle abweist.

Zum Thema:
Ja zur neuen Strafnorm: Schweizer Juden für mehr Schutz vor Diskriminierung
Antirassismus-Strafnorm: Muss das Referendum sein? – Gründe pro und contra
Abstimmungs-Vorschau: Nur Kritik oder schon Hass?

Datum: 10.02.2020
Autor: Florian Wüthrich
Quelle: Livenet

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