Eingeschränkt und zufrieden

«Gesundheit ist definitiv nicht die Hauptsache»

Schon in der Schule merkte Ruth Lippuner, dass sie körperlich mit den andern Kindern nicht mithalten konnte. Warum, hatte sie keine Ahnung. Heute – 60 Jahre später – lebt sie im Bewusstsein, dass die Beziehung zu Jesus Christus viel entscheidender ist als gesunde Beine.
Ruth Lippuner

Angefangen hat Ruth Lippuners Lebensweg im Kanton Zürich. «In der Sonntagschule, die ich regelmässig besuchte, wurde ein Grundstein meines Glaubens gelegt». In ihrer Oberstufenzeit zog die Familie ins St. Galler Rheintal. Nach der Konfirmation und dem Schulabschluss ging sie für einen Sprachaufenthalt ins Tessin. Ein entscheidendes halbes Jahr für ihr weiteres Leben. Mit der Erlaubnis ihrer Gastfamilie besuchte sie jeden Sonntagmorgen den Gottesdienst. Nach einem Gespräch mit dem Pfarrer entschied sie sich mit 17 Jahren bewusst für ein Leben im Glauben an Jesus Christus. Nach dem gemeinsamen Gebet erlebte sie, wie die depressive Grundstimmung, die sie von ihren Eltern mitbekommen hatte, von einem Moment auf den andern weg war – und bis heute weg geblieben ist.

Für die Lehre als Orthoptistin zog sie anschliessend nach Basel. In der Jugendgruppe einer reformierten Kirche traf sie ihren zukünftigen Mann. Nach dem Abschluss der Berufsausbildungen und der Heirat verlegten die beiden ihren Wohnsitz in den Kanton Zürich und bekamen zwei Kinder. Obwohl sie das wirklich nie wollten, wurde die Ehe nach 18 Jahren geschieden. Ruth bekam die Kinder und die Auflage vom Gericht, 50 Prozent arbeiten gehen zu müssen.

Erlebte Wunder

Mit einem einzigen Telefonanruf bekam sie eine Teilzeitstelle in der Nähe des Ortes, wo sie bereits ihre Teenagerjahre verbracht hatte. Mit einem einzigen weiteren Telefongespräch bei einem Verwandten erhielt sie auch eine Wohnung inklusive Abwartsstelle in einem alten Haus, das der evangelischen Kirche gehörte. Leider verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand zusehends. Schliesslich lag sie wochenlang nur noch im Bett und war auf die Unterstützung der Spitex angewiesen.

Als sie 1997 von einem Aufenthalt im Paraplegiker-Zentrum Nottwil wieder nach Hause kam, war sie eine der ersten, die mit einem Rollator unterwegs war – und das mit 45 Jahren. Sie brauchte darum auch eine neue, rollstuhlgängige Wohnung, kein einfaches Unterfangen in der damaligen Zeit. Aber wiederum war sie bereits nach einem einzigen Telefonanruf fündig geworden. Solche Erlebnisse sind für sie ganz einfach Wunder, die Gott für sie getan hat. Genauso auch wie der Umstand, dass sie bis heute noch nie Schulden machen musste, obwohl ihr bescheidenes Budget eigentlich nie gereicht hat.

Hilfe annehmen und anbieten

Beeindruckt war und ist sie immer wieder von all der Hilfe, die sie bekommt. Sie ist dankbar, dass sie in der Schweiz leben darf mit all den technischen, medizinischen und finanziellen Möglichkeiten. Sie ist dankbar für alle Unterstützung von Menschen aus der Kirchgemeinde. Und sie ist auch dankbar für die Person, die ihr mehrmals einen zweiwöchigen Kuraufenthalt am Toten Meer gespendet hat. «Es ist immer wieder eine persönliche Herausforderung, um Hilfe zu bitten», sagt Ruth Lippuner.

So gut sie kann und es ihre Gesundheit zulässt, engagiert sie sich für andere. Zum Beispiel in einer Gebetsgruppe, in der Betreuung der Homepage der regionalen Sektion der Evangelischen Allianz und in einem Treffpunkt für Menschen am Rande der Gesellschaft – ausgerechnet in jenem Gebäude, in dem sie früher wohnte. Ihr Vorteil sei, dass sie Zeit habe, sagt sie dazu. Ausserdem engagiert sie auch aktiv in der christlichen Organisation «Glaube und Behinderung».

Die Frage nach der Heilung

Einer der ganz wichtigen Bibelverse für Ruth steht im 2. Buch von Mose, Kapitel 4, Vers 11. Gott sagt dort zu Mose, der sich vor seiner Lebensaufgabe drücken will, weil er kein guter Redner ist: «Wer hat dem Menschen den Mund geschaffen? Oder wer hat den Stummen, den Tauben, den Sehenden oder den Blinden gemacht? Doch wohl ich, der HERR!» Sie weiss auch nicht, warum Gott die einen Menschen heilt und andere nicht. Aber diese Frage ist nicht die wesentliche für sie. Sie weiss sich getragen, geführt und unterstützt von dem Gott, der ihr das Leben geschenkt hat, so wie es ist, und sie liebt, so wie sie ist.

Vor allem früher habe es Christen gegeben, die für ihre Heilung beteten und äusserten, wenn sie nur genug glaube, dann werde Gott diese Gebete erhören. Sie nimmt es ihnen nicht übel, weil sie weiss, dass sie es gut meinten. Ihre eigene Einstellung zu dieser Thematik ist eine andere. Sie sagt, es würde sie stressen, wenn sie täglich den Druck hätte, heute von Gott geheilt werden zu müssen. Natürlich wäre sie gerne gesund, wenn starke Schmerzen sie plagen, es ist ihr aber letztlich wichtiger, innerlich gesund zu sein als äusserlich. Und so freut sie sich über alles, was sie bereits erlebt hat und noch erleben wird – gerade dank ihrer Einschränkung. Und sie spürt tagtäglich diesen inneren Frieden, der grösser ist als alle Vernunft und ihr Herz in der Beziehung zu Jesus Christus bewahrt (Philipperbrief, Kapitel 4, Vers 7).

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Datum: 20.05.2019
Autor: Marcel Wildi
Quelle: Livenet

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