Dr. med. Gerhard Gutscher

«Jugendliche mit Depressionen ernst nehmen»

Mehr als zehn Prozent aller Jugendlichen sind von einer Depression betroffen. Dr. med. Gerhard Gutscher erklärt die mögliche Rolle des Glaubens und der christlichen Jugendarbeit.
Dr. med. Gerhard Gutscher

12,3 Prozent der Männer und 13,9 Prozent der Frauen zwischen 15 und 24 Jahren sind laut der Schweizer Gesundheit Taschenstatistik 2018 von mittleren oder schweren Depressionen betroffen.

Mögliche Ursachen

Dass diese Altersgruppe besonders betroffen ist, lässt sich erklären. Die psychische Verarbeitung der hormonellen Veränderungen in der Pubertät, die Adoleszenz, sei eine der herausforderndsten und spannendsten Lebensphasen mit grossen Chancen und enormen Risiken, erklärt der Kinder- und Jugendpsychiater Dr. med. Gerhard Gutscher vom Christlichen Therapiezentrum Siloah in Gümligen im Wochenmagazin ideaSpektrum 31/32.2019. «In diesem Alter können neben Depressionen auch Psychosen ausbrechen, ebenso Angststörungen und Essstörungen oder stoffliche und nicht stoffgebundene Süchte.» Gefährdet seien speziell Jugendliche, in deren Kindheit die Grundbedürfnisse nicht ausreichend befriedigt wurden, bei denen die Bindungserfahrung hauptsächlich zur Mutter, aber auch zum Vater nicht sicher genug war oder auch traumatische Erlebnisse stattgefunden haben.

Entsprechend könnten die Eltern in diesen Punkten auch vorbeugend wirken. Wenn ein Kind oder ein Jugendlicher depressive Erscheinungen zeige, solle man «es auf alle Fälle ernst nehmen und das Gespräch mit dem Kind oder Jugendlichen suchen, wenn es sich zurückzieht und nicht mehr viel spricht am Esstisch; erst recht, wenn es äussert, es wolle nicht mehr weiterleben.»

«… weil ich es meinen Angehörigen nicht antun will»

Suizide können auch bei Christen vorkommen. Ein möglicher Schutz ist laut Gerhard Gutscher der Gedanke: «Ich habe nicht das Recht, mir das Leben zu nehmen.» Viele Christen dächten zurecht, dass ihnen das Leben geschenkt sei. «Ein anderes Motiv, das vom Suizid abhält, ist die Angst vor dem Jüngsten Gericht und der Hölle.» Diese Angst habe aber deutlich abgenommen und er führe dieses Motiv auch nicht aktiv in die Therapie ein. Eine häufige Motivation gegen einen Suizid sei: «Ich mache es nicht, weil ich es meinen Angehörigen nicht antun will.»

Ihm sei wichtig, Suizidgedanken ernst zu nehmen, durch Fragen zu erfahren, welche Gedanken es sind, ob es Impulse sind und ob jemand schon einen Suizidversuch begangen hat. Auch kläre er ab, ob verlässliche Bezugspersonen da seien, welche eine depressive Person im Zweifelsfall anrufe. «Dann lasse ich es mir versprechen, dass jemand sich nichts antut, sondern im Notfall jemanden anruft. Man spürt dann, ob das hält oder nicht. Bisher ging das praktisch immer gut.»

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Datum: 10.08.2019
Autor: David Gysel
Quelle: idea Schweiz

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