Krisen nutzen

Wie stelle ich mich den Fragen des Lebens?

Krisen sind unbeliebt: Zu anstrengend, beängstigend und meist mit Verlust verbunden. Trotzdem sollten wir uns die Frage stellen: «Kann man – mit etwas Geschick – Krisen zu seinem Vorteil nutzen?» Eine Predigtserie im ICF Zürich verfolgte genau diesen Ansatz. Dr. Johannes Hartl, Theologe und Gründer eines Gebetshauses in Augsburg, nahm die Zürcher Grosskirche dazu mit in die Welt von Viktor Frankl, der sich mitten im Konzentrationslager in Auschwitz dieselbe Frage gestellt hat.
Leo Bigger führte durch die Predigtserie «Krisen – Wie sie zu Chancen werden» (Bild: ICF Zürich)
Viktor Frankl

In jeder Krise ist die normalste Tendenz, dass wir die Krise befragen: «Warum passiert das? Warum gerade mir?» Und: «Wie lange soll das noch dauern?» Der entscheidende Switch passiert aber in dem Moment, in dem wir die Frage andersherum stellen: «In welcher Hinsicht befragt die Krise mich?» Viktor Frankl hat sich ausgiebig mit diesem Gedanken beschäftigt. Als Jude hat er im Konzentrationslager aus nächster Nähe miterlebt, wie Menschen innerhalb weniger Wochen die Perspektive verloren haben und dann auch wirklich körperlich gestorben sind. Er hat überlebt. Was er dabei gelernt hat, ist für Tausende von Menschen zu einer grossen Hilfe geworden.

Viktor Frankl ist vor allem bekannt für sein Buch «...trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager». Viele kennen und schätzen ihn als Begründer der Logotherapie, die vielen Menschen geholfen hat, wirklich Sinn in ihrem Leben zu finden. Wie und wo er seine Erfahrungen gesammelt hat, ist bemerkenswert. In seiner ungewöhnlichen Lebensgeschichte liegt ein starker Schlüssel für den Umgang mit Krisen. Wir wollen uns ansehen, unter welchen Umständen sich Viktor Frankl seine Forschungsergebnisse erarbeitet hat und wie ihm das geholfen hat, eine Krise zu überstehen, die für die allermeisten zum sicheren Tod führen würde.

Vier Konzentrationslager überlebt

Viktor Frankl war bereits Oberarzt, als er 1941 ein Visum für die USA beantragte. Er reiste aber nie nach Wien, um es abzuholen, weil er seine Eltern nicht alleine in Österreich zurücklassen wollte. Statt aus Österreich auszureisen, heiratete er noch im selben Jahr eine Frau namens Tilly Grosser, ebenfalls eine Jüdin. Anschliessend dauerte es nur noch knapp ein Jahr, bis das frisch verheiratete Paar mitsamt Eltern in das Ghetto Theresienstadt abtransportiert wurde. Dort starb als erstes sein Vater. Später starben seine Mutter und sein Bruder in einer Gaskammer in Auschwitz. Seine Frau starb schliesslich im Konzentrationslager in Bergen-Belsen. Viktor Frankl selbst überlebte vier verschiedene Konzentrationslager, bevor er im April 1945 von der amerikanischen Armee befreit wurde. Die Aussage, dass Viktor Frankl etwas von Krisen versteht, ist also kaum übertrieben. Gewalt, Verachtung und Tod waren überall um ihn herum gegenwärtig. Viktor Frankl musste sich gleich zu Beginn überlegen, wie er da wohl lebend durchkommen konnte. Er hatte den genialen Einfall, dieses Überleben zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung zu machen. Er wollte herausfinden, ob und wie Leute in diesem menschenverachtenden Umfeld überleben konnten. Anschliessend würde er ein Buch schreiben, um seine Erkenntnisse zusammenzufassen und Menschen damit zu helfen, Krisen zu überwinden.

Dieses Umdenken – dieser Switch in seinem Denken – hat einerseits bewirkt, dass Viktor Frankl überlebt hat; andererseits hat er mit seinen Erkenntnissen die Logotherapie entwickelt und damit eine psychologische Schule gegründet, die Menschen weltweit geholfen hat, Krisen erfolgreich zu überwinden. Im Kern geht es dabei nicht so sehr um die Frage: «Wie komme ich nur möglichst heil durch diese Krise?» Sondern: «Wie stelle ich mich den Fragen des Lebens, und zwar gerade während einer Krise?» Damit lässt man sich auf die Frage ein, die die Krise stellt: «Was wackelt da gerade in meinem Leben, das noch wachsen muss, damit ich nach der Krise anderen etwas weitergeben kann?» Ich kann dich nur ermutigen, mit der gleichen Denkweise an die jetzige Covid-19-Krise heranzugehen. Also mit der Frage: «An was klopft die Krise in mir an?» Oder der Frage: «Wie wirst du jetzt antworten? Was machst du daraus?»

Krisengeschichten aus der Bibel

Das ist im Übrigen eine total biblische Vorgehensweise. Bei Viktor Frankl hat es dazu geführt, dass Tausende von Menschen weltweit Sinn finden. Dadurch, dass ein Mann für sich entschieden hat: «Ich werde das Ding erforschen. Ich werde gestärkt aus dieser Krise hervorgehen.» Es gibt zwei ganz berühmte biblische Geschichten, die genauso ablaufen. Die eine ist die Geschichte von Joseph, die andere die von Jesus. Wir träumen ja oft davon, dass Gott uns vor allem Bösen bewahrt. Es gibt aber in der ganzen Bibel keinen einzigen Helden, den Gott vor allem Bösen bewahrt hätte.

Ganz tragisch ist es bei Joseph. Er ist nicht nur der Lieblingssohn seines Vaters Jakob, Gott gibt ihm im Traum auch noch die grossen Verheissungen, dass er eines Tages Mond und Sterne zu seinen Füssen haben wird. Was dann aber im Leben von Joseph passiert, ist das glatte Gegenteil. Alles geht schief. Seine Brüder verkaufen ihn in die Sklaverei, in der Sklaverei kommt er ins Gefängnis, im Gefängnis wird er nochmals mies behandelt und vergessen. Es läuft alles schief, und es wäre absolut naheliegend, wenn Joseph verzweifeln und sagen würde: «Gott du hast mich getäuscht. Warum muss es mir so gehen?» Stattdessen aber hat sich Joseph in diesen Situationen bewährt. Und als seine Brüder zu ihm kommen und ihn um Vergebung bitten, antwortet Joseph: «Ihr hattet Böses im Sinn, aber Gott hat etwas Gutes daraus gemacht.» Gott ging es darum, das Leben von vielen Menschen zu erhalten, denn Joseph wurde zu einem Ernährer von Menschen in ganz Ägypten und darüber hinaus. 

Anhand der eigenen Krise anderen weiterhelfen

Vielleicht sollte hier klargestellt werden: Die Krise ist nicht gut. Nicht Gott schickt die Krise. Joseph wurde von den Brüdern verkauft. Das war schlecht und das bleibt schlecht. Da ist vieles schlecht an dem, was momentan passiert. Gott verhindert nicht jede Krise, aber Er gibt uns einen Ausweg, der nicht nur dazu dient, dass man selber überlebt. Joseph überlebt nicht nur und kommt aus dem Gefängnis heraus, sondern er wird zu einem Versorger für viele andere. Bei Jesus ist es genauso – auf erschütternde Weise! Wir lesen im Hebräerbrief, dass Jesus, obwohl er der Sohn Gottes war, durch Leiden Gehorsam gelernt hat und so zum Urheber unseres Heils wurde. Jesus nachzufolgen, als Licht der Erde und Salz der Welt, beginnt tatsächlich an dieser Stelle. Dass ich nicht in diesem Hadern bleibe, sondern dass ich Gott frage: «Ok, in dieser Krisenphase – in der ich geschüttelt werde und das zum Vorschein kommt, was wirklich in mir drin ist – was möchtest Du da in meinem Leben festigen, sodass ich eine Antwort und eine Lösung für andere Menschen darstellen kann?» Ich glaube, dass alle grossen Erfindungen, nicht nur die Logotherapie von Viktor Frankl, sondern auch Krankenhäuser, Medikamente und technische Innovationen, aus existenziellen Krisen kamen. Manchmal bitten wir Gott: «Bewahre mich vor Krisen!» Und Gott sagt: «Einerseits würde ich das gerne tun, andererseits bleibst du dann unter deinem Niveau, und ich möchte, dass du zum Heil wirst für andere Menschen.» Jede Krise, durch die du gestärkt gegangen bist, bevollmächtigt dich, anderen Menschen durch die gleiche Krise zu helfen. Wenn du zum Beispiel ein Kind verloren hast, und du hilfst jemandem, der auch ein Kind verloren hat, hast du sofort dessen Aufmerksamkeit. Der denkt sich: «Hey, ich nehme dich für voll, du bist bereits durch das Gleiche gegangen.» Wenn du dann sagst: «Schau, das sind Dinge, die mir geholfen haben», dann hast du Autorität. Das ist bei Joseph passiert. Und das ist auch bei Jesus passiert: Weil er durch die ultimative Krise gegangen ist, wurde er zum Urheber unseres Heils. 

Gott beruft dich

Wir haben in den ersten Wochen der Corona-Krise etwas ganz Gewaltiges erlebt: Bei der Aktion «Deutschland betet gemeinsam» konnten wir bis zu einer Million Menschen mobilisieren. Der Ministerpräsident von Bayern war Schirmherr, mit dabei waren zudem viele weitere wichtige Personen des öffentlichen Lebens wie z. B. Politiker. Möglich war diese Aktion aber nur, weil vorher im Verborgenen das Gebet und die Netzwerkarbeit gelaufen war, und nun bereits da war und Gott dies in einer Krisensituation verwenden konnte. Das heisst jetzt nicht, dass du eine Gebetsbewegung starten musst, aber auf die gleiche Weise kann diese kleine Veränderung in deinem Denken einen grossen Unterschied machen. Die Veränderung bedeutet, dass nicht ich die Fragen an die Krise stelle, sondern frage: «Krise, welche Fragen stellst du an mich und welche Antworten kann ich mit Gottes Hilfe geben – zum Heil von vielen?» Ich wünsche dir ganz viel Kraft und Segen in dieser Situation – Gott beruft uns genau für eine Zeit wie diese – zum Heil für viele!

In Römer Kapitel 8, Vers 28 steht geschrieben: «Das eine aber wissen wir: Wer Gott liebt, dem dient alles, was geschieht, zum Guten. Dies gilt für alle, die Gott nach seinem Plan und Willen zum neuen Leben erwählt hat.»
Krisen sind keine Voraussetzung dafür, dass wir wachsen können. Darauf sollten wir Gott nicht beschränken. Er hat viele Möglichkeiten, uns auf Seine persönliche Art zu begegnen und zu formen. Es ist aber wichtig, dass wir uns immer bewusst sind: Auch Krisen gehören zu dem im Vers erwähnten «alles», also müssen auch Krisen uns zum Guten dienen.

Hier können Sie die Predigt mit Johannes Hartl nachschauen:

Zur Webseite:
ICF Church Magazin

Zum Thema:
Samuel Koch in Predigt: «Bei all diesem ekligen Kram bin ich irgendwie ganz gut drauf»
Tipps für den Corona-Alltag: Zuversicht in der Krise
Bedenkenswert: Vom Sinn der Krise

Datum: 15.09.2020
Autor: Daniel Forrer
Quelle: ICF Church Magazin

Publireportage
Werbung
Livenet Service
Werbung