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«Manchmal frage ich mich, wo der Einfluss von Jesus heute bleibt»

Die 50. Ausgabe von Jesus.ch-Print erscheint diesen Herbst in weiteren Städten als Regionalausgabe – unter anderem in Bern und Thun. Livenet sprach mit dem Berner Gemeinderat und Historiker Reto Nause über das Thema «Influencer Nr. 1», um das sich die Jubiläums-Zeitung dreht.
Reto Nause
Titelseite der Jubiläumszeitung Jesus.ch-Print 50

Livenet: Reto Nause, wie stark schätzen Sie als Historiker und Politologe den Einfluss von diesem Jesus Christus auf die Geschichte und unser Staatssystem ein?
Reto Nause
: Der Kern der christlichen Soziallehre als philosophisch-politische Richtschnur ist sicher hochaktuell und immer noch relevant. Es ist diese Kombination von individueller Freiheit und Solidarität mit den Schwächsten, die so bestechend ist. Einerseits ist bei uns jeder Mensch seines eigenen Glücks Schmied, andererseits wird er nicht fallen gelassen, wenn er zum Beispiel krank oder invalid wird. Diese beiden Kernwerte sollten gleich gewichtet werden.

Wir stellen in dieser Zeitung die These auf, dass keine Person die Welt so stark beeinflusst habe wie Jesus. Was halten Sie von dieser Aussage?
Als Gründer dieser Soziallehre hatte er gewiss einen grossen Einfluss. Manchmal frage ich mich aber, wo dieser Einfluss von Jesus heute bleibt. Mir scheint, dass dieses Gedankengut von Solidarität und individueller Freiheit, das in unserem Land vor 25 Jahren noch selbstverständlich war, mehr und mehr verloren geht.

An welchen Punkten in der Gesellschaft sehen Sie denn heute die christlichen Kernwerte bedroht?
Ich sehe in allen relevanten sozialen Bewegungen eine kleine Minderheit, die sehr radikalisiert auftritt. Im Umweltbereich gibt es Gruppen, die es in Ordnung finden, wenn man einen Stadtgeländewagen abfackelt, im Flüchtlingsbereich schrecken extreme Gruppen nicht davor zurück, Brandanschläge an Ausschaffungsgefängnissen zu verüben oder zu Sabotageakten von Zügen und Flugzeugen aufrufen, weil sie diese als Teil der Ausschaffungsmaschinerie brandmarken. Es gibt sogar vegane Bewegungen, die es legitim finden, bei Metzgereien mal kurz eine Scheibe einzuschlagen. Das hat mit Solidarität und individueller Freiheit nichts mehr zu tun.

Zeichnen Sie hier nicht ein etwas zu schwarzes Bild unserer Gesellschaft, Herr Nause? Das Zusammenleben ist doch grösstenteils friedlich in der Schweiz.
Der soziale Frieden in der Schweiz ist gewahrt, das stimmt. Unsere Erhebungen in der Stadt Bern zeigen, dass bei Demonstrationen, an denen randaliert wird, nicht etwa Arbeitslose oder Sozialhilfebezüger dabei sind, sondern vielmehr Studenten, Künstler, Banker, Schüler usw. Von sozialen Spannungen kann also nicht die Rede sein; die Gewalt scheint andere Beweggründe zu haben. Klar ist: Die Gewalt und Drohungen gegen Beamte haben seit zehn Jahren massiv zugenommen. Es wird mit Lasern auf die Augen der Polizisten gezielt, es fliegen grosse Steine in Richtung der Beamten und auch die Aufschriften in der Stadt wie «Kill more Cops!» (Tötet mehr Polizisten!) zeugen von einer neuen Dimension von Gewaltbereitschaft. Heute scheint es diesen radikalen Gruppen egal zu sein, wenn jemand schwerverletzt oder sogar getötet wird. Diese Tendenzen sind nicht akzeptabel.

Der Verzicht auf Gewalt ist auch ein zentraler Wert, den Jesus gelehrt hat. Was ist zu tun, um diesen Wert wieder stärker ins Bewusstsein der Bevölkerung zu bringen?
Das ist eine gute Frage… Ich war jetzt gerade ein paar Tage in Deutschland. Wenn Sie dort sind, haben Sie eine doch recht junge Nation vor sich, die aus einem Weltkrieg kommt und sich dessen bewusst ist. In Karlsruhe gibt es beispielsweise den Platz der Menschenrechte. Deutschland setzt sich also bewusst mit der Vergangenheit auseinander, was zu einem würdevollen Umgang untereinander führen kann. Wir in der Schweiz haben nicht ein solches historische Erbe und nehmen allein deshalb wohl vieles als selbstverständlich hin. Manchmal ist es schon ein Witz, wie wir mit Leidenschaft über Tempo-30-Zonen diskutieren können, aber handkehrum Debatten über unsere Grundwerte wie die Würde des Einzelnen oder den Schutz des Eigentums kaum zum Zug kommen. Heute ist es salonfähig, ein Haus zu besetzen, obwohl die Eigentumsgarantie ein in der Bundesverfassung verankertes Grundrecht ist. Es ist doch verrückt, dass Leute, die Häuser besetzen, dafür auch noch Applaus ernten?!

Manche Menschen sagen, dass die Welt ohne Religion friedlicher wäre. Wie sehen Sie das?
Ich bin der Meinung, dass es einen Kodex braucht, der definiert, wie man miteinander umgehen soll. Ohne Regeln gehen wir Menschen aufeinander los! Alle Religionen, wenn sie richtig interpretiert werden, wollen eigentlich die Gewalt minimieren – auch der Islam. Meistens war die Religion in der Vergangenheit nicht der Auslöser für einen Krieg, sondern sie wurde nur als Grund bei einem bereits bestehenden Konflikt vorgeschoben. Ich bin der Meinung, die Religionen können nicht so falsch sein, sonst hätten sie nicht schon über 2'000 Jahre Bestand.

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Datum: 14.10.2019
Autor: Florian Wüthrich
Quelle: Livenet

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