Die Frage ist nur, wie?

Die Corona-Pandemie wird die Welt verändern

Das Virus hat für uns schon heute Konsequenzen, die wir uns noch vor einem Vierteljahr nicht hätten vorstellen können. Doch vieles wird auch anders als gewohnt sein, wenn das Monster sich verzogen hat.
Person hält einen Globus

Die Behörden erhalten für ihre Massnahmen viel Lob und geniessen Vertrauen. Doch was, wenn sich herausstellen sollte, dass sie zu wenig oder zu viel gemacht haben? Und was, wenn der Staat seine Stellung gefestigt und ausgebaut hat?

Der Staat wird sich verändern

Die Angst vor einem erstarkenden Staat ist bei liberalen Geistern wie dem Chefredaktor der NZZ, Erich Gujer, mit Händen zu greifen. In seinem Samstag-Leitartikel schreibt er: «Je nachdem, wie der Staat die Bewährungsprobe meistert, geht er als Loser oder als Leviathan daraus hervor. Nimmt die Zahl der Neuinfektionen rasch ab, greifen die Programme zur Unterstützung der Wirtschaft, dann wird die Macht des Staates gefährlich wachsen.» Gujer wird geradezu alarmistisch: «Covid-19 wird als Vorwand dienen, um eine Renaissance staatlicher Bevormundung mit umso mehr Nachdruck zu fordern.» Doch er sieht auch die Gefahr, dass die Populisten gewinnen, sollte der heutige Staat versagt haben.

Die Risikogruppen isolieren?

Doch was soll der Staat jetzt tun? Der NZZ Chefredaktor macht einen Vorschlag, der das Dilemma erst recht sichtbar macht: «Wäre es angesichts der Kosten nicht vernünftiger, wenigstens die Wirtschaft weiterlaufen zu lassen und dafür die Risikogruppen umso strenger zu isolieren?»

Aber, so muss man hier zurückfragen: Soll der Staat denn so mächtig sein wie in China, wo man die Menschen per Dekret in ihre Wohnungen einsperren und ihren Gehorsam per Handy-Überwachung kontrollieren kann?! Es gilt sicherzustellen, dass in künftigen Krisen der Staat stark genug ist, ihnen zu begegnen – und dennoch Demokratie und Rechtsstaat zu wahren. Doch müssen wir auch den heutigen Föderalismus hochhalten, der vieles verkompliziert? Das wird zu reden geben.

Müssen sich die Kirchen verändern?

Auch für die Landes- und Freikirchen stellt sich heute die Frage: Reagierten sie richtig, wenn sie alle Gottesdienste und Veranstaltungen einstellten, etliche noch vor dem Versammlungsverbot? Gehen sie mit ihren Angeboten wie Streaming-Gottesdiensten, Telefonseelsorge, Hilfsangeboten und symbolischen Aktionen auf die Bedürfnisse der Menschen ein? Erfüllen sie ihren Auftrag? Auch den Auftrag, die Ereignisse aus biblischer Sicht zu deuten? Was allerdings höchst delikat sein kann, wenn wir an die Auswüchse der Endzeitprophetie-Deutungen in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts denken.

Es gibt zur Zeit verschiedene Initiativen, die Offenbarung des Johannes in einem neuen Licht zu interpretieren. So haben zum Beispiel Wolfgang und Ulrike Bittner dazu aufgerufen, die Offenbarung kapitelweise zu lesen und in einem Whatsapp-Gruppe zu diskutieren. Der ehemalige Chrischona-Dozent Hans Ulrich Reifler hat einen Kurs erarbeitet, der Licht auf die verschiedensten Zugänge und Auslegungen dieses geheimnisvollen Buches wirft.

Quarantäne tut not

Thomas Söding, Professor für neutestamentliche Exegese an der Ruhr-Universität Bochum, stellt auf der Plattform «feinschwarz.net» dagegen «dröhnendes Schweigen» in den Kirchen fest. Sie machten den allgemeinen Shutdown klaglos mit. Und er fragt: «Was haben sie den Menschen anzubieten? Beteuerungen der Betroffenheit, Homestories von Würdenträgern und Live-Übertragungen von Gottesdiensten ohne Gemeinde reichen jedenfalls nicht.»

Er fordert, «Corona als Seuche, nicht als Apokalypse» zu sehen. Das heisst: «Quarantäne tut not. Für die Gottesdienste, die Katechesen und die Sozialdienste der Kirche gelten die gleichen Beschränkungen wie für alle Welt. Die Autorität der Kirchenführer wird nicht mehr gebraucht, um die Einhaltung der Regeln einzuschärfen», so der katholische Theologe. Aber die Theologie müsse die Kraft der Unterscheidung aufbringen, die aus dem Gottesglauben wächst. Das heisst konkret: «Die Pandemie ist eine Seuche – die Apokalypse ist sie nicht.» Menschen müssten zwar «ihre Freiheitsräume einschränken – Ebenbilder Gottes bleiben sie». Denn: «Viele haben sich angesteckt und werden sich anstecken – ihre persönliche Schuld ist es in den seltensten Fällen.» Schuldzuweisungen seien daher deplatziert.

Die Weisheit Jesu gewinnen

Zum anderen gelte es, «die Weitsicht Jesu zu gewinnen». In der Kirche müsse der Blick für diejenigen geschärft werden, die über die Quarantäne hinaus handeln: «In erster Linie sind dies die Menschen in Heil- und Pflegeberufen, die sich um die Erkrankten kümmern. Es sind die Lehrkräfte, die analog und digital Unterricht ausserhalb der Klassenzimmer und Hörsäle erteilen. Es sind alle, die sich um die Versorgung mit Lebensmitteln kümmern, um Transporte und Reparaturen. Es sind diejenigen, die sich für andere einsetzen, von der Kinderbetreuung über die Bahnhofsmission bis zur Arbeit mit Geflüchteten.»

Den Fokus überprüfen

Die Corona-Krise kann ein Anstoss sein, den Fokus der eigenen Gemeinde und Kirche zu überprüfen und ein neues Verhältnis zur Gesellschaft zu finden. Eine Entwicklung in diese Richtung hat bereits begonnen, gerade auch in den Freikirchen. Diese werden sich noch stärker als bisher als positive Akteure und Mitgestalter der Gesellschaft betätigen müssen und dabei kreative Wege entwickeln, wie sie ihre zentrale Botschaft, das Evangelium, den heutigen Menschen einleuchtend erklären. Nicht in Abgrenzung, sondern in Zuwendung.

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Datum: 29.03.2020
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

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