«Religiöse sind heute Abweichler»

Milliardär Peter Thiel gegen «fast totalitären Herdendruck»

Der deutschstämmige Investor Peter Thiel (Los Angeles) kann nicht nur wirtschaftlich, sondern auch philosophisch denken. Im Gespräch mit der «Weltwoche» vom 12. August macht er unter anderem deutlich, warum der Verlust Gottes ein Verlust für die Gesellschaft ist.
Peter Thiel (Bild: Wikipedia)

Er wird als «akademisches Wunderkind» bezeichnet: Peter Thiel studierte zunächst Philosophie an der Elite-Uni Stanford und machte dann einen Abschluss in Jura. Seine Leidenschaft galt aber auch der Mathematik; er war Junior-Schachmeister und wurde durch frühe Investitionen in PayPal, Tesla und Facebook zum Multimilliardär. Heute betreibt Thiel eine Vielzahl von wirtschaftlichen und philanthropischen Unternehmungen.

Der Exzentriker Thiel hinterfragt den gesellschaftlichen Mainstream in vielerlei Hinsicht, und man kann in manchem anderer Meinung sein als er. Im Gespräch machte er aber einige spannende Aussagen über Glaube und Christentum; wir bringen sie im Originaltext.

Die Absenz Gottes, ein Wettbewerbsnachteil für den Westen?

Peter Thiel: Ich hatte nie viel übrig für die darwinistischen Rechtfertigungen der Religion. Aber der Zusammenbruch der Transzendenz, dass wir keinen religiösen Bezugsrahmen mehr haben, ist sehr schädlich. Ich möchte gleich den Kern anschneiden und meine These anhand der Zehn Gebote der Bibel verdeutlichen. Das erste Gebot lautet, man solle nur zu Gott aufschauen und daneben keinen anderen Göttern huldigen. Das zehnte Gebot, das letzte auf der Liste, geht so: Du sollst nicht seitlich zu deinem Nachbarn rüberschauen und begehren, was er hat, seine Frau und seine Besitztümer. Zusammengefasst: Schaue nach oben, schaue nicht zur Seite. Ich frage mich, ob die Menschen, wenn sie aufhören, nach oben zu schauen, anfangen, häufiger rüberzuschauen, sich umzusehen. Wir leben in einer hypermimetischen Gesellschaft. Alle machen allen anderen alles nach. Deshalb leben wir auch in einer extrem missgünstigen, neidischen Gesellschaft. Ihr Treiber sind schlechte, vergiftete Beziehungen. Wenn man anfängt sich umzusehen, fängt man an, die Ideen anderer Leute zu kopieren. Die Verabschiedung der zehn Gebote, die Verabschiedung Gottes führen zum Herdenverhalten, zu einem falschen, aufgezwungenen Konsens. Es fällt dann sehr schwer, diesen Konsens zu brechen, denn es gibt nichts Transzendentes mehr, das einem Halt gibt. Man kann darüber streiten, ob Religion in der Vergangenheit so wirkte, aber in der Welt von 2020 sind die religiösen Leute die Abweichler. Sie haben die Fähigkeit behalten, für sich selber zu denken. Sie lassen sich weniger unter Gruppendruck setzen. Heute verschärft sich ein fast totalitärer Herdendruck, mit der Folge, dass Erfindungsgeist, anderes Denken und Kreativität gewaltig nachlassen.

Ist Religion gegen Freiheit?

Die Entdeckung und Befreiung des Individuums ist vielleicht die zentrale Leistung der westlichen Zivilisation. Wird diese Befreiung heute rückgängig gemacht?
Thiel: Die Geschichte dieses Vorgangs ist superkompliziert. Wenn wir dieses Gespräch 1785 gehabt hätten, hätten wir die freiheitsfeindlichen religiösen Strukturen der damaligen Zeit kritisiert, Strukturen, die den Menschen fesselten und behinderten. Damals führte ein antireligiöser Impuls zu mehr Freiheit. Heute führt der antireligiöse Impuls zu mehr Konformismus.

«Man will christlicher sein als die Christen»

Thiel beunruhigt der gesellschaftliche Zwang zu einer Meinung, die «Homogenisierung des Denkens und Sprechens»: «Die aktuellen Vorgänge scheinen mir eher religiöser und weniger politischer Natur zu sein», meint er. «Antirassismus und Kommunismus sind spezifische Deformationen des Christentums. (…) Ich würde es Ultrachristentum oder Hyperchristentum nennen. Man will christlicher sein als die Christen. Diese Versuchung besteht seit 2000 Jahren. Judaismus und Christentum haben sich immer auf die Seite der Opfer geschlagen. Der Judaismus beginnt mit Moses, der sein Volk aus der Sklaverei befreit, erzählt aus der Perspektive der Opfer. Der christliche Jesus wurde vom Mob ans Kreuz genagelt. Die Idee, dem Opfer beizustehen, ist wesentlich für unsere jüdisch-christliche Tradition, und die Versuchung besteht immer darin, diese Idee zu übertreiben. Die Christen haben gesagt: 'Gesegnet seien die Armen, ihnen gehöre das Himmelreich'. Die Kommunisten haben gesagt: 'Nein, die Christen machen viel zu wenig für die Armen. Wir machen mehr und veranstalten eine gewalttätige Revolution. Wir bringen den Himmel auf die Erde, und zwar jetzt'. Je intensiver man sich aber um die Opfer kümmert, desto mehr Opfer produziert man und damit auch Täter, die dann wiederum bekämpft werden müssen. Der 'hyperchristliche' Kommunismus brachte im Namen angeblicher Opfer Dutzende Millionen von Menschen um.»

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Datum: 18.08.2020
Autor: Peter Thiel, Roger Köppel / Reinhold Scharnowski
Quelle: Die Weltwoche / Bearbeitung Jesus.ch

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