Abgewählt

«Dieses Stürmchen wird mich nicht hinwegfegen»

Zu den Verlierern der Parlamentswahlen 2019 gehört auch Philipp Hadorn (SP), der unter anderem die Parlamentarische Gruppe Christ + Politik präsidierte. Im Interview verrät er, wie er mit der missglückten Wiederwahl in den Nationalrat umgeht und welche Perspektiven er jetzt hat.
Philipp Hadorn

Philipp Hadorn, viele werden Ihre Abwahl als Nationalrat bedauern. Wie gross war der Schock oder der Frust für Sie selbst?
Philipp Hadorn:
Es war kein Schock, sondern eine Option. Persönlich bin ich zwar enttäuscht, ich hätte gerne im Parlament weitergearbeitet, besonders in der neuen Zusammensetzung. Wer sich aber einer Wahl stellt, muss auch bereit sein zu verlieren.

Wie sind Sie als Christ geistlich mit diesem Bruch und dieser Enttäuschung umgegangen?
Einerseits gibt es den Aspekt der Gerechtigkeit. Wir werden sie nie ganz verstehen. Es war weder gerecht noch ungerecht, dass ich gewählt wurde – und jetzt abgewählt wurde. Wie auch schon in anderen Lebenssituationen verstehe ich dies trotz aufrichtigem Suchen nicht. Ich empfinde für mich einfach Gottes Aufforderung: Gehe deinen Weg weiter. Ich habe diese Neuorientierung wirklich nicht gesucht. Als Christ habe ich aber ein tragendes Fundament, sodass mich dieses Stürmchen nicht wegfegen wird. Es ist ja nur meine eigene kleine Welt, die jetzt für einen Moment zusammengebrochen ist.

Haben Sie sich vor den Wahlen Gedanken über eine mögliche Abwahl gemacht und wie die Zeit danach gestaltet werden soll?
Ich rechnete zwar mit der Möglichkeit einer Abwahl, hoffte aber, durch eine Mobilisierung – auch im christlichen Raum – die Wiederwahl zu schaffen. Jetzt wurde eine Frau gewählt. Ich habe keinen Plan B. Ich werde mir dazu Zeit nehmen. Da ich aber ein echter Milizparlamentarier war, habe ich ein zweites Standbein. Ich werde mir jetzt überlegen müssen, wofür ich mich in den nächsten 13 Jahren meines Berufslebens einsetzen will. Ich werde das vor Gott und Menschen bewegen.

Sie haben sich als Präsident des Blauen Kreuzes Schweiz auch im Parlament für Suchtprobleme eingesetzt. Wer wird dies in Zukunft tun?
Einerseits werde ich das Blaukreuz-Präsidium behalten, es ist nicht an mein politisches Mandat gebunden. Dass ich im Parlament sass, war ein Zusatznutzen. Zum andern freue ich mich natürlich, dass mit Lilian Studer jetzt die Geschäftsführerin einer Blaukreuz-Mitgliederorganisation gewählt worden ist! Sie ist mit der Thematik mindestens so gut vertraut wie ich. Ebenso wirkt Erich von Siebenthal im Vorstand des Berner Blauen Kreuzes mit. Auch in der SP-Fraktion gibt es und gab es immer schon zahlreiche Leute, die für die Suchtproblematik sensibilisiert sind.

Sie haben auch Vorstösse gemacht, zum Beispiel zur Ethik der Organspende, die vom Rat noch nicht behandelt wurden. Wie geht es da weiter?
Ich bin noch bis Ende Monat Parlamentsmitglied. Da werde ich noch in der Budgetdebatte und in der Verkehrskommission mitarbeiten. Meine parlamentarische Initiative zur Ökologisierung des Luftverkehrs kann ich in der Kommission noch vertreten. Auch im ganzen Budgetprozess in der Finanzkommission bin ich noch dabei, bis die Neugewählten am 2. Dezember vereidigt werden. Ich suche jetzt ein anderes Mitglied des Parlaments, das dafür geeignet und bereit ist, und statte es mit den nötigen Informationen aus. Denn diese Person soll meine rund 17 pendenten Vorstösse weiterbearbeiten. Unser System sorgt dafür, dass man auch ersetzbar ist. Das dient auch der politischen Stabilität unseres Landes.

Sie leiten seit Frühjahr 2018 auch die Parlamentarische Gruppe «Christ + Politik». Wie wird es hier weitergehen?
In dieser Zeit konnte ich die Basis verbreitern und die Unterstützung der Kirchen aufbauen. Es war mir ein Anliegen, dieser Parlamentarischen Gruppe das nötige Profil zu vermitteln. Ein neues Präsidium wird dieses spannende Gefäss weiterentwickeln können.

Sie haben sich immer, auch als Politiker, offen zum christlichen Glauben bekannt. Ist es möglich, dass Ihnen das bei der Wahl geschadet hat?
Ich weiss es nicht, und es spielt eigentlich auch keine Rolle. Ich bin schon bei den Wahlen ins Kantonsparlament immer mit dem Slogan «klar gewerkschaftlich, klar christlich, klar sozial» angetreten; dieses Jahr noch mit dem Zusatz «klar umweltbewegt» – alles Teile meines Seins und Wirkens seit Jahrzehnten. Gelegentlich wurde ich gewarnt, dass ich mit «klar christlich» zwar eine Gruppe gewinne, aber auch eine andere vergraule. Ich entgegnete: «Das ist meine Identität.» Wenn sich jemand an meinem sozialen Engagement oder an meinem Christsein stört, kann das ein Nachteil sein. Immerhin wurde ich dennoch mehrfach gewählt. Ich weiss aber, dass meine christliche Orientierung auch einigen nicht passt. Wenn ich darauf offen angesprochen werde, kann ich damit umgehen und dazu Stellung nehmen.

Wie machen Sie das konkret?
Nachdem die liberale Solothurner Zeitung mehrfach schrieb, meine christliche Haltung sei für meine Partei ein Problem, nahm ich dazu an einem Parteitag Stellung: In einer Partei, die sich gegen jegliche Diskriminierung einsetzt, darf und kann mein christliches Bekenntnis keinen Widerstand geben. Ich habe die Freiheit, seit über 30 Jahren das Fisch-Symbol an meinem Revers zu tragen. Das gehört zu meiner individuellen Freiheit. Und ich verlange von niemandem, es mir gleichzutun. Auch als Christ und Sozialdemokrat kann man zu vielen unterschiedlichen Positionen und Einstellungen kommen – und der Respekt gebietet es, dies anzuerkennen. Mein gelebter Glaube zeigt sich darin, dass ich klar zu meinen Haltungen stehe und «parteiisch» bin, also zugunsten des Schwachen und Benachteiligten Stellung beziehe. Beziehung zu Christus bedeutet für mich aber auch, gleich und anders Denkende, Lebende und Glaubende zu achten und anzunehmen, wie mich Christus angenommen hat.

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Datum: 27.11.2019
Autor: Fritz Imhof
Quelle: idea Schweiz

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