Hippe Autoren und alte Wege zu einem erfüllten Liebesleben
Ratgeber zum Thema Sex gibt es wie Sand am Meer – und gleichzeitig gibt es viel zu wenig davon. Jedenfalls zu wenig gute. Bücher, die ehrlich und gleichzeitig herausfordernd sind. Zeitgemäss und in einem gesunden Gottesbild geerdet. Heilsam, ermutigend, informativ und praktikabel sollten sie sein. Okay, das ist ein hoher Anspruch. Aber in der Regel liegt der Anspruch von christlichen Autorinnen und Autoren an ihr Zielpublikum sogar noch höher.
Was hat «Love Sex God» zu bieten? Lohnen sich die 176 Seiten? Und wenn ja, für wen?
Optik und Inhalt
Das Buch richtet sich an junge Menschen um die 18 Jahre. Es arbeitet mit Bildern und Farben. Vertiefungstexte sind an den Schluss ausgegliedert. Die Abschnitte sind kurz, die Sprache ist ICF-typisch «denglisch»-locker, «Reminder» und «Actionsteps» in Boxen runden die Texte ab. Damit ist das Buch zwar leicht lesbar, behält aber das Flair eines Schulbuchs.
Die inhaltliche Aufmachung als Dialog zwischen «Senior-Bro-Pastor» Teichen und Christian Rossmanith bereichert das Lesen deutlich. Allerdings hätte ein wenig mehr Spannung zwischen den beiden dem Buch gutgetan. So schliessen sie sich meistens mit einem freundlichen «ganz meiner Meinung» an den Vorredner an.
Pro
Es ist wohltuend, ein christliches Buch zum Thema Sex aufzuschlagen, das Dinge beim Namen nennt, ohne derb zu werden. Der Orgasmus wird auch so genannt, und das Hohelied mit seinen erotisch-lyrischen Versen wird nicht vergeistlicht. Zwischendrin macht sich manchmal der Gedanke breit: So offen sollten auch Predigten zum Thema sein – und genau das waren sie in der ICF wohl auch, denn die Buchinhalte bildeten den Rahmen der Predigtreihe «Let's talk about sex, baby».
Die Autoren packen das Thema Nummer eins in einer offenen und kommunikativen Art an: Sie regen dazu an, mit anderen über Fragen zu sprechen, sich unterstützende Menschen an die Seite zu holen und nicht zuletzt betonen sie mehrfach: «Lass Gott an deine Fragestellungen heran.» Und sie fordern deutlich heraus, auch dann auf ihn zu hören, wenn seine Aussagen nicht mit den eigenen Vorerwartungen übereinstimmen.
Auch die Ehrlichkeit der beiden Männer überzeugt. Sie malen keine Heiligenbilder von sich selbst, sondern zeigen sich auch in ihren Schwächen und ihrem Versagen.
Contra
Am Anfang des Buchs schreibt Tobias Teichen: «Mit dem Wissen von heute hätte ich damals aber einen anderen Weg gewählt.» Das sagt er als Kind christlicher Eltern und hinterlässt damit die Frage, ob Wissen bei Thema Sex wirklich alles ist. Denn zusammen mit seinem Co-Autor bringt er nichts Neues. Er spricht von Bindung durch Sexualität, von Reinheit und dem verantwortlichen Umgang mit der Kraft des Geschlechtstriebs. So bleibt bei manchen Aussagen ein schaler Nachgeschmack. Sie klingen nach: «Ich hab's nicht geschafft, aber du solltest das hinbekommen…»
Das Buch ist auch von unnötigen Einseitigkeiten geprägt. Das beginnt damit, dass es sich fast ausschliesslich an junge Männer richtet. Frauen kommen im ganzen Buch nur in Nebensätzen vor. Wenn das aussen draufstände, wäre es zumindest transparent und man könnte auf das Buch von Frau Teichen und ihrer Freundin warten, aber so wird ein zentrales menschliches Thema auf eine Art und Weise besprochen, die 50 Prozent der Leserschaft ausschliesst.
Auch das Herangehen bleibt sehr schwarz-weiss. Das einzige beschriebene Gegenbild zum Warten mit Sex bis zur Ehe ist das völlig unkontrollierte und egoistische Ausleben mit vielen Partnerinnen. Doch dazwischen gibt es noch sehr viel mehr… Natürlich möchten Teichen und Rossmanith ihre völlig legitime Haltung zu Sexualität weitergeben, doch sie wird nicht schlüssiger, wenn sie Widersprüche dazu nur als Karikatur darstellen.
Ähnliches gilt für die «missing links». Am Ende des Buchs ist eine relativ umfangreiche Fussnotensammlung mit Links zum Beispiel zu Timothy Keller, von dem die Autoren stark profitiert haben. Wenn sie mit mündigen Leserinnen und Lesern rechnen würden, könnten die Autoren allerdings auch Gegenpositionen mit aufnehmen – zum Beispiel die von Rolf Krüger, der in seinem intelligent-provokativen Blogbeitrag «Sex vor der Ehe? Ja, bitte!» manches aus einer anderen, ebenfalls christlichen Warte, betrachtet. Oder sie könnten Artikel, die explizit im Buch genannt werden, wenigstens verlinken. «Monogamie. Die grosse Lüge» ist ein Text aus der ZEIT. Man muss nicht mit der Autorin übereinstimmen, aber wenn sie auf Seite 46 kritisiert wird, möchten manche Lesende das vielleicht genauso nachvollziehen wie Kellers Predigten.
Fazit
Wer seine konservativ-christliche Sicht zu Sex vor und in der Ehe bestätigt sehen will, der findet dies in lockerer Sprache in «Love Sex God». Eine tiefere Auseinandersetzung, die auch andere Positionen und Ausgangssituationen ernst nimmt, wäre auch im Rahmen des dünnen Buchs möglich gewesen, war aber leider nicht gewollt. So bleibt es bei einem mittelmässigen Neuaufguss des Themas.
Symptomatisch für die zeitliche Verortung des Inhalts ist dabei das Beispiel aus Jane Austens «Stolz und Vorurteil» (Seite 85). Ist dies wirklich das Musterbeispiel für einen achtungsvollen Umgang miteinander – oder vielmehr die Glorifizierung eines Verhaltens aus dem frühen 19. Jahrhundert, das durchaus auch seine negativen Schlagseiten hat?
Zum Buch:
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Datum: 11.08.2021
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet