Befreiende Botschaft der Bibel

Wenn Freiheit Angst macht

Freiheit ist kein Geschenk, es ist Arbeit. Das scheint am Ende herauszukommen, wenn man sie in Beziehung zu Sünde, dem Gesetz oder sogar der Bibel setzt. Das mag zuerst Angst machen, aber nur dadurch ist Freiheit tatsächlich erfahrbar.
Freiheit kann Angst machen. (Bild: Unsplash)

Im Mai 1949 wurde die Bundesrepublik Deutschland gegründet. Vor den ersten freien Wahlen seit langem fragte eine ältere Frau ihre Familie: «Wen muss ich denn jetzt wählen?» «Niemand Bestimmtes. Du kannst dich frei entscheiden.» «Dann würde ich den Kaiser wählen…» Tja, Freiheit funktioniert nicht von selbst. Man muss sie einüben. Manchmal macht sie sogar Angst.

Freiheit von Sünde und Tod

Auch wenn die Hebräische Bibel keinen Begriff für Freiheit kennt, findet sich darin die Befreiungsgeschichte schlechthin: der Exodus. Der Auszug der Israeliten aus Ägypten. Stellen Sie sich einmal vor, man hätte irgendeinen Israeliten – vielleicht Simon – kurz vor dem Durchqueren des Roten Meeres gefragt: «Entschuldigung. Wir machen eine kleine Meinungsumfrage. Hätten Sie ein paar Minuten Zeit?» «Ja, aber wirklich nur ein paar Minuten. Sehen Sie, ich muss gleich noch durchs Meer gehen.» «Ich wollte nur wissen, ob Sie tatsächlich glauben, dass auf der anderen Seite die Freiheit auf Sie wartet.» «Da bin ich mir nicht ganz so sicher. Immerhin ist dort Wüste. Aber in den letzten Jahren habe ich mich für einen Hungerlohn fast zu Tode geschuftet. Freiheit war ein Fremdwort. Unsere Söhne hat man uns genommen. Ständig waren wir der Willkür der Ägypter ausgesetzt. Wir waren Gefangene.» «Und jetzt?» «Schauen Sie mal zurück. Dort rückt gerade die ägyptische Armee mit ihren Streitwagen an. Wenn die uns erwischen, dann werden wir entweder eingefangen oder umgebracht. Deshalb kann ich Ihnen gar nicht so richtig sagen, was ich davon erwarte, durchs Rote Meer zu ziehen, aber besser als früher wird es auf jeden Fall sein. Ich will noch nicht sterben.» (Die ganze Geschichte ist nachzulesen in 2. Mose Kapitel 14)

Es ist verständlich, dass die «Entscheidung» der Israeliten auch aus einer gewissen Angst geschah. Manch eine Christin oder ein Christ hat die ersten Schritte hin zu Jesus aus Angst getan, Angst vor Sünde, ihren Folgen oder dem Tod. Aber nicht die Angst ist das Entscheidende, sondern die Freiheit.

Diese Freiheit hat Jesus verkündet: «Der Geist des Herrn … hat mich gesandt, … Gefangenen Befreiung zu verkünden» (Lukas Kapitel 4, Verse 18-19). Und diese Freiheit hat Paulus erklärt: «Nachdem ihr aber von der Sünde befreit wurdet, seid ihr der Gerechtigkeit dienstbar geworden» (Römer Kapitel 6, Vers 18). Denn Freiheit in der Bibel ist mehr als Freiheit von Angst – es ist die Freiheit, so zu werden, wie Gott sich uns gedacht hat.

Dass das weder mit Abrakadabra noch mit einem Fingerschnipsen passiert, sondern ein Prozess ist, erlebten die Israeliten in der Wüste genauso wie die ersten Christen (sonst hätte Paulus nicht so viele Briefe schreiben müssen) und wie wir.

Freiheit vom Gesetz

In ihrem Buch «Unorthodox» erzählt Deborah Feldman ihre Lebensgeschichte. Die Jüdin wuchs in einer ultraorthodoxen Gemeinschaft in Brooklyn, New York auf und konnte sich mit 23 daraus befreien. Bis dahin hatte Gesetzlichkeit jede Minute ihres Lebens beeinflusst – aus Angst, dass den Juden noch einmal so etwas Schreckliches wie der Holocaust geschehen könnte. Sie selbst wurde wie viele andere dabei zutiefst verletzt.

Doch Gesetzlichkeiten gibt es in jeder Religion: als katholische genauso wie evangelische oder freikirchliche Gesetzlichkeit. Und sie ähneln sich erschreckend: Immer geht es darum, dass Menschen Angst vor der Freiheit haben. Dass sie sich bei Gott Punkte verdienen wollen – himmlische Paybackpunkte durch irdische Unannehmlichkeiten. Dass sie nicht nur glauben, sondern auch etwas tun wollen zu ihrer Rettung. Und das kann sich sehr fromm anhören: «Wenn Christus dich befreit hat, hast du endlich die Freiheit, die Gesetze zu halten.»

Paulus lehnt solche Gedanken sehr deutlich ab und zeigt ihren menschlichen Ursprung: «Wenn ihr nun mit Christus den Grundsätzen der Welt gestorben seid, weshalb lasst ihr euch Satzungen auferlegen, als ob ihr noch in der Welt lebtet? 'Rühre das nicht an, koste jenes nicht, betaste dies nicht!' – was doch alles durch den Gebrauch der Vernichtung anheimfällt – Gebote nach den Weisungen und Lehren der Menschen, die freilich einen Schein von Weisheit haben in selbst gewähltem Gottesdienst und Demut und Kasteiung des Leibes, und doch wertlos sind und zur Befriedigung des Fleisches dienen» (Kolosser Kapitel 2, Verse 20–23).

Wer längere Zeit in einer gesetzlichen Gemeinschaft gelebt hat, leidet darunter, aber nicht nur, denn Gesetze geben auch Stabilität und Sicherheit. Nur Leben können sie keines geben – und Freiheit auch nicht. Das wusste auch Deborah Feldman, die sich gegen ihren sicheren Rahmen für eine unsichere Freiheit entschied.

Freiheit von der Bibel

Tatsächlich kann auch ein falscher Gebrauch der Bibel Ängste erzeugen und Freiheit verhindern. Die Bibel ist kein Buch, sondern eine Bibliothek verschiedenster Autoren, die über einen Zeitraum von ca. 1'500 Jahren entstand. Nichts, was darin steht, ist direkt an Sie und mich geschrieben. Alles, was darin steht, muss in gewisser Weise in unsere Lebenswirklichkeit übersetzt werden – also ausgelegt.

Beispiel gefällig? Sollen Eltern ihr Kind schlagen oder nicht? Das Gesetz ist darin ziemlich deutlich: «Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung.» Aber was sagt die Bibel dazu? Einer der meistzitierten Verse steht in Sprüche Kapitel 13, Vers 24: «Wer seine Rute spart, der hasst seinen Sohn, wer ihn aber lieb hat, der züchtigt ihn beizeiten.» Bevor Sie jetzt sagen: «Da steht es doch…», lassen Sie uns noch eine wichtige Parallele ansehen: «Wenn jemand einen widerspenstigen und störrischen Sohn hat, der der Stimme seines Vaters und seiner Mutter nicht gehorcht und ihnen auch nicht folgen will, wenn sie ihn züchtigen, so sollen sein Vater und seine Mutter ihn ergreifen und zu den Ältesten seiner Stadt führen und zu dem Tor jenes Ortes, und sie sollen zu den Ältesten seiner Stadt sagen: Dieser unser Sohn ist störrisch und widerspenstig und gehorcht unserer Stimme nicht; er ist ein Schlemmer und ein Säufer! Dann sollen ihn alle Leute seiner Stadt steinigen, damit er stirbt» (5. Mose Kapitel 21, Verse 18–20).

Plötzlich ist das Ganze gar nicht mehr so eindeutig, oder? Warum nicht? Wir fangen an zu überlegen, wie diese Aussage zu verstehen ist. In ihrem antiken Kontext und auch in unserem heutigen. Wir fragen uns vielleicht, was Jesus zu dem Thema sagt: Nun, zu Kindererziehung sagt er genau gar nichts. Und zu Gewalt steht er deutlich ablehnend – so weit, dass er sich sogar selbst töten lässt.

Tatsächlich spricht viel dafür, mit Mut und Freiheit selbst an scheinbar eindeutige Bibelstellen heranzugehen und sie angstfrei auszulegen – so wie Pinchas Lapide es anregte: die Bibel nicht wörtlich, sondern ernst zu nehmen.

Freiheit in Jesus

Okay, es gibt Angst vor Sünde und Tod – aber die Tür in die Freiheit ist offen. Es gibt Angst vor dem Gesetz – aber die Freiheit kommt ohne ein scheinbar stabiles Korsett aus. Es gibt Angst vor der Bibel – doch die Frage, wie sie tatsächlich zu verstehen ist, führt zur Begegnung mit dem lebendigen Wort.

Letztlich macht Freiheit Arbeit. Ich muss nachdenken, diskutieren und vielleicht auch einfach zugeben, dass ich mich geirrt habe. Gleichzeitig finde ich Freiheit und Orientierung immer wieder bei Jesus Christus selbst.

Zum ersten Teil:
Befreiende Botschaft der Bibel: Freiheit gibt es nur im Plural

Zum Thema:
Missverstandener Klassiker: Jona: Es geht nicht um den Fisch
Bibellesen nach Luther: 5 Tipps, wie man die Bibel verstehen kann

Datum: 23.05.2021
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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