«Was machen Sie in der Kneipe, Herr Pastor?»
Auch der jugendlichste Jugendpastor wird einmal älter. Es war Simon Birr (38) klar, dass er nicht ewig mit Teens abhängen und mit Jugendlichen kickern und sie geistlich begleiten würde. «Irgendwann wird das komisch», erzählte er dem Hessischen Rundfunk, der einen Bericht über ihn sendete. Trotzdem traf ihn die Nachricht seiner Gemeinde überraschend, dass sie diese Veränderung bald wollten. Was nun? Sollte der gebürtige Hamburger aus dem mittelhessischen Ewersbach mit knapp 3'000 Einwohnerinnen und Einwohnern wieder in die Stadt gehen? Sollte er eine «richtige» Pastorenstelle antreten? Beides kam für ihn nicht infrage.
(K)Ein Neuanfang
Als sich Simon damals mit seinem Freund Stefan unterhielt, spannen die beiden eine Idee, die ihnen schon länger im Kopf herumspukte: «Wie wäre es mit einer eigenen Kneipe?» Die Dorfkneipe um die Ecke hatte coronabedingt dichtgemacht. Es gab zwar noch kleine Stamm- und Raucherkneipen im Ort, aber die waren nur für sehr wenige Leute einladend. Simon und Stefan schwebte etwas anderes vor: Kultur. Musik. Ein echter Treffpunkt. Mehr ein Café als eine klassische Kneipe.
Diese Gedanken kamen noch aus der Zeit, als Simon nach Feierabend ab und zu die Kneipe im Erdgeschoss des Hauses, in dem er wohnte, zu seinem Wohnzimmer machte und sich dort mit Leuten traf, redete, zuhörte und auch gehört wurde. Denn inkognito war er nie dort – er lebt immerhin auf dem Dorf. Wer in Ewersbach als Pastor in die Kneipe geht, tut das auch tatsächlich als Pastor. Schon damals merkten einige, die noch nie eine Kirche von innen gesehen hatten: «Das ist auch nur ein Mensch. Und sogar noch ein netter…» Die Idee von Stefan und Simon wurde konkret. Sie planten, nahmen Geld auf, pachteten die leerstehenden Räume, renovierten sie und eröffneten im November 2022 das Jazz- und Wein-Café «Bebop» im Ortsteil Strassebersbach.
Jazz auf dem Dorf?
Wäre das «Bebop» nicht eher etwas für die Grossstadt? Vielleicht, aber dort gibt es solche Angebote ja bereits. In Ewersbach existieren dagegen kaum noch Orte, wo sich Schülerinnen und Schüler nach dem Unterricht drinnen treffen können. Jetzt freuen sie sich: «Es gibt sogar freies WLAN.» Auch wer abends gepflegt ein Glas Wein trinken möchte, ohne von lauter Musik zugedröhnt zu werden, ist hier richtig. «Dreimal wöchentlich spielen wir abends Jazz und zweimal etwas ganz anderes», erklärt Simon Birr im Gespräch. «So kommt jeder auf seine Kosten.»
Für die Zukunft planen die Betreiber weitere Aktivitäten: Eine Lesung ist bereits terminiert, auch Live-Auftritte als Ergänzung zur Schallplattenmusik und inzwischen gibt es auch eine Ausstellungsfläche für Bilder. Simon ist sich klar darüber, dass das Jazz-Café «weder heute noch in einigen Monaten auch nur ansatzweise Überschüsse erzielen und Geld zum Leben lassen wird». Um ihn herum eröffnen keine Startups, sondern althergebrachte Anbieter schliessen. Bei der Eröffnung brachte es ein Kunde drastisch auf den Punkt: «Entweder habt ihr Eier wie Elefanten oder ihr seid völlig bescheuert.» Simon lächelt und denkt sich «beides», während ihn der Gedanke an so etwas wie Berufung ebenfalls nicht loslässt. Denn aus seiner Sicht öffnete Gott für das «Bebop» viele Türen.
Seelsorge inklusive
Einige Leute aus den umliegenden Kirchen und Gemeinden freuten sich: «Ah, ein christliches Café…», doch Simon Birr widersprach von Anfang an vehement: «Nein, auch wenn ich Pastor bin, ist das kein christliches Ding. Man braucht keine Angst vor Bekehrung zu haben und wird nur seltenst im Bierkonsum beschränkt. Hier geht es um das Dorf, um einen Raum, um ein Zuhause für viele.»
Tatsächlich ist Simon weiterhin Pastor, allerdings ohne Anstellung in einer Gemeinde. Doch der Platz hinter dem Zapfhahn ist nicht seine Kanzel. Wenn allerdings Menschen kommen und reden möchten, dann hat sich im «Bebop» bereits eine nette Gesprächskultur entwickelt. Dann kann man mit anderen Gästen im wahrsten Sinne über Gott und die Welt reden oder auch mit Simon selbst, denn natürlich steht er auch als Christ hinter der Theke. «Und ich erlebe immer wieder, wie die christliche Botschaft eine Hilfe sein kann.» So findet über einem Glas Craftbeer manches seelsorgerliche Gespräch statt, wer will, kann auch beten, aber aktiv missioniert wird hier nicht. Das schafft eine entspannte Atmosphäre.
Finanzielles Standbein für mehr
Simon hofft, dass das Café ihn bald auch finanziell mitträgt, aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Seine zweite Berufung bringt ihm allerdings ebenfalls kein Geld ein: Schon eine ganze Weile engagiert sich der medienaffine Pastor im digitalen Raum: in der betaKirche. Diese «Kirche für die Hosentasche» besteht seit zwei Jahren als Projekt, bei dem sich Menschen von überall zu Angeboten wie Gottesdiensten online treffen können. Die Herausforderung: Es gibt nur diese Plattform, kein zusätzliches Gebäude. Was sich für ältere Christinnen und Christen unpersönlich und fern anhört, ist für die «Digital Natives» längst Lebenswirklichkeit und eine interessante Alternative.
Doch auch im realen Raum ist Simon nach wie vor unterwegs. Er hat zwar keine feste Gemeinde mehr, doch er ist buchbar für Trauungen, Gottesdienste, Trauerfeiern und vieles mehr. Diese Arbeit als selbstständiger Pastor finanziert seinen Einsatz im Café und im Internet. Und an beide Orte gehört für ihn der Glaube an Jesus Christus. So ist es kein Wunder, dass er bei der Frage «Würdest du diesen Weg wieder gehen?» keine Sekunde zögert: «Natürlich, sofort!»
Datum: 01.03.2023
Autor:
Hauke Burgarth
Quelle:
Livenet