Neuausrichtung

«Ich hatte keine Angst, ich wusste mich in Gottes Hand»

Vreni Müllhaupt ist in einer Bauernfamilie gross geworden. Dass sie einmal Strassenkinder der peruanischen Hauptstadt Lima aufsuchen würde, hatte sie nicht geplant. Doch Gott führte sie genau dorthin.
Vreni Müllhaupt (Bild: Mirjam Fisch)

Als junge Frau heiratete Vreni einen Bauern und führte mit ihm den elterlichen Betrieb weiter. Zudem nahm das Paar immer wieder Pflegekinder bei sich auf. Doch die Ehe war nicht von Dauer, mit 40 Jahren musste Vreni sich neu orientieren. «Die Leute meines Hauskreises und meiner Kirchgemeinde waren mir damals eine grosse Hilfe», erinnert sich die 81-Jährige.

Was nun?

Schliesslich verpachtete sie den Hof und verbrachte ein gutes Jahr in Braunwald bei Diakonissen. Sie beteten für sie um innere Heilung. Und Vreni bat Gott um Führung für ihr Leben. Wo sollte sie sich einsetzen? Sie absolvierte eine Bibelschule, bildete sich weiter und arbeitete anschliessend in verschiedenen sozialen Institutionen, wo sie Menschen mit einer Behinderung betreute. Daneben besuchte sie eine Seelsorge-Ausbildung. «Ich spürte, dass ich nicht für immer hierbleiben, sondern eines Tages weit weg gehen würde.»

Magnetisch angezogen

«Wenn ich christliche Konferenzen besuchte, zog es mich jeweils wie mit Magneten zu den Tischen der verschiedenen Missionen», erzählt Vreni. Schliesslich bewarb sie sich bei verschiedenen als Kandidatin. Doch alle fanden, sie sei mit knapp 50 Jahren zu alt dafür. Immer wieder war ihr in dieser Zeit des Fragens und Ringens mit Gott der gleiche Bibelvers aus Josua, Kapitel 1, Vers 9 begegnet: «Sei mutig und stark und lass dich nicht erschüttern. Ich bin bei dir, wo immer du hingehst.» So flog Vreni schliesslich auf eigene Faust nach Lima, weil sie gehört hatte, dass dort Leute gebraucht werden. Während dieser zwei Wochen empfand sie, dass Gott ihre Berufung bestätigte.

Strassenkinder

Nun sandte die SMG Schweizerische Missions-Gemeinschaft sie doch nach Peru aus. Vier Jahre arbeitete sie in einem Kindergarten und unter Frauen. Dann zog es die Schweizerin in die Millionenstadt Lima. Mit einem Team des peruanischen Bibellesebundes begann sie, abends Strassenkinder aufzusuchen. «Sie wohnten in Höhlen am Fluss, wir brachten ihnen heisse Schokolade zu trinken und Brötchen, erzählten ihnen die Geschichte von Jesus und beteten für sie.»

Einmal geriet sie in einen Aufruhr, als sie mit einem grossen Papiersack voller Brot für obdachlose Menschen unterwegs war. «Es war die Zeit des Terrorismus, viele Leute hatten ständig Angst», erklärt sie. «Ich stellte mich still in eine Nische und wartete, bis die randalierenden Jugendlichen abzogen.» Angst habe sie nicht verspürt. Sie wusste sich geborgen in Gottes Hand. «Ich zog jeweils voraus in die nächtlichen Strassen, die peruanischen Streetworker hinter mir her», schmunzelt sie. Sie besuchten immer wieder die gleichen Orte, verschenkten Zeit, Essen und Liebe. «Die Kinder wollten uns immer umarmen, wenn wir kamen, sie hungern nach Zuwendung.»

Ehrlich währt am längsten

Ein anderes Mal war sie mit einem Taxi unterwegs, als ihre Tasche zu Boden fiel. Erst später bemerkte sie, dass Geldbeutel, zwei Handys und ihre Hörgeräte in den Wagen gefallen waren. «Ich erzählte der Mitarbeiterin im Gästehaus von meinem Missgeschick, und sie betete sofort, dass Gott mir die Sachen wieder schickt.» Tatsächlich klingelte es am Abend an der Tür, und der Fahrer brachte alles zurück. «Ich bin ein ehrlicher Mann», erklärte er. Vreni meldete dies daraufhin seiner Taxizentrale. «Ihre Leute sind ehrlich – mit ihnen fahre ich gern wieder!»

Nur einmal wurde sie bestohlen: Zwei unbekannte Strassenjungen hatten ihre Kamera geklaut. Doch der peruanische Streetworker fuhr mit ihr durch die Stadt, bis sie die beiden entdeckten und die Kamera wieder an sich nehmen konnten. Für Vreni war auch das ein Geschenk Gottes.

Zentrum Shama

Später bauten vier Christinnen das Zentrum Shama auf, ein Heim für Strassenjungen. Vreni schloss sich ihnen an. Dazu unterrichtete sie Einheimische in Seelsorge, damit sie selbst ihren Landsleuten beistehen können. Heute werden im Shama Kleinkinder bis etwa sieben Jahre aufgenommen und liebevoll betreut, bis die staatlichen Behörden sie an Adoptiveltern vermitteln. Noch immer wird die Arbeit zum Teil von den Spendern getragen, die damals Vreni finanzierten.

Segensspur

Inzwischen lebt die Seniorin wieder in der Schweiz. Von anfangs Dezember bis Ende Januar besucht sie jeweils alte Freunde in Peru. Dann begleitet sie die Streetworker wieder zu Plätzen, an denen obdachlose Familien und Strassenkinder schon auf sie warten. «Es sind nun über 100 Leute, die sich in die Schlange einreihen, um heisse Schokolade, Brötchen und ein paar Schmerzmedikamente zu bekommen. Wir singen, sie hören eine Andacht, und vor Weihnachten gibt es eine Tasche voll Hygieneartikel oder warme Decken dazu», berichtet sie. «Ein alter Mann singt und betet jeweils für mich», erzählt Vreni strahlend. «Er wollte auch während der Pandemie nirgends fest wohnen, obwohl der Staat das anbot. Aber zu unseren Treffen kommt er jeweils.»

Wieder zuhause schickt sie ihren Freunden in Peru per Whatsapp Bibelverse und nimmt regelmässig an Gebetstreffen teil. Die Menschen in Lima immer wieder an Gottes Herz zu legen, ist ihr nach wie vor sehr wichtig.

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Datum: 01.12.2022
Autor: Mirjam Fisch-Köhler
Quelle: Livenet

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