Urlaub plus Hilfsprojekt

Hoffnungsgurken für Armenien

Ein Wohncontainer in Armenien
Anderen zu helfen, tut gut. Manchmal ist es allerdings frustrierend, so wenig ändern zu können. Umso schöner ist es, wenn die Hilfe bei Einzelnen ankommt und sich ihr Leben signifikant verändert. Ein Reisebericht von Hauke Burgarth.

Es gibt Auslandsaufenthalte, nach denen ich dachte: «Schön, dass ich hier war, aber einmal ist genug.» Bei Armenien ist das für mich anders. Schon beim ersten Mal war es so, als ob ein Stück meines Herzens dortgeblieben war. Gerade bin ich von meiner dritten Reise in das kleine Land im Kaukasus zurückgekommen – voraussichtlich war es nicht die letzte. Ich habe dabei jeweils für das Hilfswerk «Global Aid Network» (GAiN) als Reiseleiter kleine Gruppen begleitet. Dort haben wir Land und Leute kennengelernt und die Hilfsprojekte von GAiN vor Ort unterstützt.

Wiedersehen nach einem Jahr

Als wir Anfang Juni in der Araratebene über eine typisch armenische Schlaglochpiste zu einer Familie fuhren, um unseren Baueinsatz dort in den nächsten Tagen zu besprechen, war ich sehr gespannt auf die Begegnung. Die Familie von Gagik kannte ich bereits. Vor einem Jahr wurde sie Teil des Patenschaftsprogramms von GAiN und erhält seitdem regelmässig Unterstützung. Wie würden wir sie antreffen? Der Bürgermeister ihres Dorfs hatte ihnen ein Grundstück überschrieben, auf dem sie in Zukunft leben und arbeiten können.

Ein Wohncontainer steht dort bereits, einen weiteren wird GAiN ihnen dazustellen, damit sie dort mit ihren sechs Kindern Raum zum Leben haben. Als wir am Ortsrand ankamen, waren Gagiks Söhne mit ein paar Handwerkern gerade dabei, die Rahmenkonstruktion für ein Gewächshaus aufzustellen – hier wollten wir als Gruppe mitarbeiten, um es direkt in Betrieb zu nehmen. Die Begegnung mit Gagik und seiner Frau war bewegend. Vor einem Jahr waren beide frustriert und traurig. Sie wussten nicht, wie es für sie weitergehen sollte. Jetzt begrüssten sie uns strahlend. Es war, als hätte die Hoffnung ein Licht in ihren Augen angezündet.

Heraus aus der Katastrophe

Gagik mit seiner Frau vor seinem Wohncontainer

Wie viele Armenier arbeiten Gagik und seine Familie als Tagelöhner in der Landwirtschaft. Mal bekommen sie eine Arbeit, oft aber auch nicht, doch ihr Fleiss zahlt sich kaum aus: Was sie erhalten, reicht gerade so zum Überleben. Als wir die Familie letztes Jahr besuchten, war der jüngste Sohn gerade mit einem Nasenbeinbruch im Krankenhaus. Auch das eingeschränkte armenische Gesundheitssystem zahlt diese Operation, doch für den dreitägigen Krankenhausaufenthalt mussten die Eltern 30'000 DRAM zahlen – immerhin 75 Euro. Verzweifelt überlegten sie damals, wo sie sich das Geld dafür leihen beziehungsweise ob sie einen Kredit aufnehmen könnten.

Diese Sorge konnten wir ihnen direkt nehmen, allerdings erfuhren wir bald darauf, dass auch Gagik als Hauptverdiener gesundheitlich eingeschränkt war. Sein Arzt tippte auf eine Herzerkrankung und empfahl, das Ganze abzuklären. Hier standen andere Summen im Raum: 1'000 Euro für die Anamnese und um die 4'000 Euro für eine anschliessende Operation. Gagik zuckte damals nur resigniert die Schultern. Zwei Millionen DRAM waren für ihn unbezahlbar. Wenn Gott sein Leben früher beenden würde, dann wollte er das so hinnehmen. Die Reisegruppe teilte seinen Fatalismus nicht. Viele trugen etwas dazu bei und fragten auch noch Bekannte und Verwandte daheim, so kam bald ein grosser Teil des Geldes zusammen. Zur Erleichterung von Gagik stellte sich bei der Voruntersuchung heraus, dass er «nur» an Asthma litt. So war keine OP nötig.

Dieses Leben von der Hand in den Mund, bei dem eine verhältnismässig kleine zusätzliche Belastung jede Planung zunichte macht, ist typisch für ärmere Gesellschaften wie die in Armenien. Manchmal ist es schwer bis unmöglich, Ansatzpunkte zu finden, wie man einzelnen Familien dauerhaft helfen kann. Bei Gagik und seiner Familie sah das anders aus. So beschlossen die Mitarbeiter von GAiN Armenien, ihnen ein Gewächshaus zur Verfügung zu stellen, damit sie finanziell unabhängig werden und nicht mehr als Tagelöhner, sondern auf eigene Rechnung arbeiten können.

Gurkenhoffnung

Livenet-Redakteur Hauke Burgarth

Beim eigentlichen Arbeitseinsatz ein paar Tage später verkleideten wir die Gewächshausseiten noch mit Folie. Das Ganze sah schon sehr imposant aus – kein Hobbygewächshaus, wie es manche im Garten stehen haben, sondern eines mit ungefähr 750 Quadratmetern. Für einen Teil der Reisegruppe wurde es nun heiss und staubig: Der Boden musste vorbereitet werden, indem wir ihn glattzogen und Unkraut entfernten. Danach legten wir Licht und installierten ein Bewässerungssystem mit Tropfschläuchen für die gesamte Fläche. Als das Wasser lief, setzten wir noch 1'000 Gurkensamen an die Stellen, wo sie ausreichend Wasser bekommen würden.

Was sich hier im Zeitraffer nach wenig Arbeit anhört, kostete uns einen ganzen Tag zusammen mit der Familie und einem Handwerker, doch daneben gab es auch noch Zeit, mit den kleineren Kindern zu spielen. Als es Abend wurde, war das Projekt fertiggestellt. Die Saat lag im Boden und Gagik erklärte uns: «In vier Tagen wird sie keimen und in 35 Tagen werden wir das erste Mal ernten können. Dieses Jahr können wir voraussichtlich noch dreimal aussäen und ernten – ich bin glücklich.» Vor der Heimfahrt in unsere Unterkunft beteten wir noch für die Familie und segneten die kommende Ernte, dann machten wir uns müde und glücklich auf den Weg.

Solch eine Reise nach Armenien, bei der auch humanitäre Hilfe auf dem Programm steht, verändert das Land nicht. Als wir nach zwei Wochen wieder ins Flugzeug stiegen, gab es dort immer noch unendlich viel Armut und Probleme. Aber für Einzelne wie für Gagik und seine Familie hat sich viel verändert. In dieser Situation musste ich an den Spruch aus dem Talmud denken, der durch den Film «Schindlers Liste» bekannt wurde: «Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt.» In diesem Sinne war unsere Reise viel mehr als ein Urlaub. Es war eine besondere Zeit für die einzelnen Menschen, denen wir begegneten, und auch für uns als Teilnehmende. Denn niemand von uns ist unverändert zurückgekehrt. Armenien ist gefährlich. Man kann sich dort infizieren. Dann will man immer wieder dorthin zurück – so wie ich.

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Datum: 19.06.2023
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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