Zum Dank-, Buss- und Bettag

«Gemeinsame Verantwortung für den sozialen Frieden tragen»

Rita Famos
Anlässlich des Dank-, Buss- und Bettages äusserte sich Rita Famos, Präsidentin der EKS, in einem Interview zum Beitrag der Religionsgemeinschaften angesichts der derzeitigen Bedrohungen der Demokratie, Menschenrechte und Freiheit weltweit.

Was hat Sie und den Schweizerischen Rat der Religionen dazu bewogen, eine gemeinsame Erklärung zum Eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag zu veröffentlichen?
Rita Famos: Der Eidgenössische Dank-, Buss- und Bettag ist ein Tag, der in seiner Geschichte stets zwei Funktionen hatte: Ein Gebet in Krisenzeiten und seit 1848 eine Vermittlung zwischen den Konfessionen. Beides ist heute aktueller denn je: Die Menschen müssen viele Krisen bewältigen und das Miteinander der Religionsgemeinschaften in der Schweiz ist starken Belastungen und Gehässigkeiten ausgesetzt. Gerade in der heutigen Zeit, in der Polarisierungen und Spaltungen in vielen Ländern zunehmen, ist es entscheidend, ein starkes Zeichen der Gemeinsamkeit zu setzen. Die interreligiöse Erklärung soll deutlich machen, dass wir, als Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Glaubensrichtungen, eine gemeinsame Verantwortung für den sozialen Frieden tragen. Uns verbindet nicht nur der Glaube an Gott, sondern auch die Überzeugung, dass wir gemeinsam für das Wohl aller Menschen in unserer Gesellschaft eintreten müssen.

Die Erklärung spricht von der Bedrohung von Demokratie, Menschenrechten und Freiheit weltweit. Sehen Sie hier eine besondere Verantwortung der Religionsgemeinschaften, auf diese Entwicklungen zu reagieren?
Absolut, ja. Religionen haben nicht nur die Aufgabe, spirituelle Orientierung zu bieten, sondern sie tragen auch eine soziale und ethische Verantwortung. Die Werte von Gerechtigkeit, Menschenwürde und Freiheit sind tief im Glauben verankert. Wenn diese Werte weltweit bedroht werden, sei es durch Nationalismus, Intoleranz oder gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit oder auch Feindlichkeiten gegenüber glaubenden Menschen oder unter den verschiedenen Angehörigen von Religionen, dann dürfen wir als Religionsgemeinschaften nicht schweigen. Es ist unsere Pflicht, Stellung zu beziehen, sei es durch Worte oder Taten, und klarzumachen, dass solche Entwicklungen im Widerspruch zu unseren Grundwerten stehen. Dabei geht es nicht um politische Einflussnahme, sondern um das Eintreten für das, was wir als heilig und unverzichtbar erachten: das Leben und die Würde eines jeden Menschen.

In der Erklärung heisst es, dass unsere Gesellschaft auf schmerzhaften Lernprozessen basiert. Was macht Ihnen angesichts der aktuellen globalen Herausforderungen Hoffnung? 
Was mir Hoffnung macht, ist der tiefe Wille vieler Menschen und Gemeinschaften, trotz aller Schwierigkeiten gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Wir haben in der Geschichte oft gesehen, dass die grössten Krisen auch Momente der Transformation und des Wachstums sind. Die heutige Generation ist vernetzter und informierter als je zuvor. Es gibt eine wachsende Sensibilität für Themen wie soziale Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Menschenrechte. Die interreligiöse Zusammenarbeit ist ein Zeichen dafür, dass wir über unsere Differenzen hinaus einen gemeinsamen Weg finden können. Ich glaube fest daran, dass der menschliche Geist, inspiriert durch Glauben und Nächstenliebe, Wege finden wird, um die Herausforderungen zu bewältigen. 

In der Erklärung wird betont, dass der Glaube uns nicht nur spirituell, sondern auch sozial verpflichtet. Wo sehen Sie die grösste Herausforderung für die Kirche in der Umsetzung dieses Auftrags?
Die grösste Herausforderung besteht darin, den Glauben in den Alltag unserer Gesellschaft hineinzutragen. Wir leben in einer Welt, die oft von Individualismus und dem Streben nach Selbstverwirklichung geprägt ist. In einer solchen Gesellschaft ist es nicht einfach, die Botschaft von Solidarität, Vergebung und Nächstenliebe zu vermitteln. Viele Menschen distanzieren sich von Institutionen, auch von der Kirche. Unsere Aufgabe als Kirche ist es, relevant zu bleiben und die Menschen dort zu erreichen, wo sie stehen. Das bedeutet, dass wir auch neue Wege finden müssen, um unsere soziale Verantwortung in konkrete Taten umzusetzen – sei es durch Bildungsarbeit, soziale Projekte oder den Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden. Dabei dürfen wir nicht nur auf die Institution Kirche vertrauen, sondern müssen alle Gläubigen ermutigen, selbst aktiv zu werden. 

Welche besondere Bedeutung hat der Eidgenössische Dank-, Buss- und Bettag für Sie persönlich und für die reformierte Kirche in der Schweiz?
Für mich persönlich ist dieser Tag ein Moment des Innehaltens. In einer schnelllebigen Welt, in der uns oft der Blick für das Wesentliche fehlt, bietet der Dank-, Buss- und Bettag die Möglichkeit, innezuhalten, zu reflektieren und Dankbarkeit für all das auszudrücken, was wir haben. Für die reformierte Kirche in der Schweiz ist dieser Tag auch ein Zeichen für unsere Verantwortung in der Gesellschaft. Es ist ein Tag, an dem wir uns unserer Rolle bewusstwerden – als Stimme für Gerechtigkeit und als Gemeinschaft, die sich aktiv für den Frieden einsetzt. In einer pluralistischen Gesellschaft ist dieser Tag ein Symbol dafür, dass Religion nicht spaltet, sondern eint, indem sie zum gemeinsamen Nachdenken über Werte und Verantwortung einlädt. 

Wenn Sie in die Zukunft blicken, wie stellen Sie sich die Rolle der Kirche in einer zunehmend pluralistischen Gesellschaft vor, und wie können wir als Gläubige unseren Teil dazu beitragen, Frieden und Gerechtigkeit zu fördern?
Die Kirche wird in einer pluralistischen Gesellschaft nur dann relevant bleiben, wenn sie offen und dialogbereit ist. Es geht nicht darum, auf Kosten des Glaubens Kompromisse einzugehen, sondern darum, in den Austausch mit anderen Religionen und Weltanschauungen zu treten und dabei klar zu unseren Werten und Überzeugungen zu stehen. Für die Zukunft der Kirche sehe ich zwei zentrale Aufgaben: Zum einen müssen wir weiterhin Orte der spirituellen Zuflucht und des Dialogs bieten, an denen Menschen Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit finden können. Zum anderen müssen wir konkret in der Welt handeln, uns für Gerechtigkeit einsetzen, gegen Ungerechtigkeit aufstehen und denen helfen, die am meisten Unterstützung brauchen. Nur so können wir als Gläubige glaubwürdig bleiben und einen echten Beitrag zum Frieden leisten. 

Zur Erklärung:
Gemeinsame Erklärung zum Eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag

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Datum: 13.09.2024
Autor: Stephan Jütte
Quelle: EKS - EERS

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