Literaturnobelpreisträger

«Stille bedeutet Nähe zu Gott»

Jon Fosse sei, so der Spiegel, die absolute Ausnahme.
Jon Fosse, ein zum Katholizismus konvertierter Schriftsteller aus dem lutherischen Pietismus, hat den Literaturnobelpreis erhalten. «Der Spiegel» nennt ihn eine Ausnahme im 21. Jahrhundert. Was prägt sein Schreiben?

Abgeschiedenheit, Ruhe und das Meer. Das ist die Gegend, in der Jon Fosse aufwächst. Er wird 1959 in Südnorwegen geboren und wächst in Strandebarm am Hardangerfjord auf. Seine Eltern bewirtschaften einen Hof, der seit dem 16. Jahrhundert im Besitz der Familie ist. «Seltsam» sei er als Kind gewesen, habe häufig das Gefühl gehabt, nicht dazuzugehören, so Fosse selbstredend. Kleine Geschichten und Gedichte schreibt er, auch Songtexte.

Ein schwerer Unfall im Alter von sieben Jahren ist prägend. Er rutscht mit einer Flasche in der Hand aus und schneidet sich die Pulsadern auf. In einem Nahtod-Erlebnis sieht er das Haus seiner Familie aus der Distanz, so, als ob er seinen Körper bereits verlassen hätte. 2016 sagt er dazu im «Deutschlandfunk Kultur»: «Ich glaube bis heute, dass ich durch diesen Unfall zum Schriftsteller geworden bin. Die Hauptperspektive meiner Texte ist nämlich die von jemandem, der sich an der Grenze zwischen Leben und Tod befindet.»

Er besucht ein Gymnasium in Øystese, legt 1979 das Abitur ab. Als Schüler gilt er als wortkarg und aufrührerisch. In Bergen studiert Fosse bis 1987 Literaturwissenschaften, Soziologie und Psychologie. Seit 2011 lebt er in dem legendären Schriftstellerhaus «Grotte» im königlichen Schlosspark von Oslo. Seine Wahlheimat ist ein Städtchen in der niederösterreichischen Gemeinde Hainburg, wo er mit seiner Frau in dritter Ehe lebt.

Religiöse Grundierung und schriftstellerische Haltung

Fosse ist ausgesprochen produktiv. Er schreibt Theaterstücke, Romane, Gedichtsammlungen, Kinderbücher und Essays. Mit über fünfzig Veröffentlichungen gilt er als bekanntester norwegischer Dramatiker seit Henrik Ibsen. Seine Werke wurden teilweise in über vierzig Sprachen übersetzt. In Deutschland gibt es fast kein Jahr, in dem seine Stücke nicht an grossen Häusern aufgeführt werden. Er überträgt Werke von Franz Kafka, James Joyce und Samuel Beckett ins Norwegische. Georg Trakl ist sein Vorbild.

Ein existenzielles Nachdenken sei sein Schreiben, hat Fosse 2019 in der Wochenzeitung «Die Zeit» gesagt. Was für das Essenzielle unwichtig sei, werde in seiner Literatur radikal ausgespart. Deshalb wagt er, mit Sprache anders umzugehen: In der «Heptalogie», seinem siebenteiligen Opus Magnum, gibt es keinen einzigen Punkt. In «Ein Leuchten» hingegen dominiert das Fragezeichen. Dort ist es um den namenlosen Protagonisten, der in einen Wald läuft, sehr kalt. Wird er den Verstand verlieren? Wo ist zurück? Und wo ist vorn? Wo der Weg? Er begegnet dem «Ich bin, der ich bin», zweifelt aber gleichzeitig daran, wer dieser ist. 

Sein Werk «Ein Leuchten» hat nach wenigen Wochen die vierte Auflage erreicht. Fosse scheint einen Nerv zu treffen. Mitten in der Orientierungslosigkeit erfährt der Mensch paradoxerweise Zugang zu einer tieferen Ebene, ist dem Göttlichen nahe. Das, so sagen manche, habe ihm den Ruf eines bedeutenden Erneuerers des zeitgenössischen Theaters eingebracht. Doch das Göttliche zeigt sich eben auch in der dunklen Seite. Im Melancholischen, Düsteren. Seine Protagonisten sind oft tief deprimiert, stellen sich gescheiterten Lebensplänen.

Der Versuch einer Würdigung

Poesie

Fosses Vorwurf, der Protestantismus habe das Mysterium und die Poesie hinausgeworfen, mag man schwerlich widersprechen. Fosse will das Ungesagte unsagbar sein lassen, will dem Geheimnis erlauben, ein solches zu bleiben. Er holt es zurück und eröffnet neue und andere Räume der Offenbarung. 

Liturgie

Ihn langweilt das banale Geschwätz «dummer Pastoren», und er findet stattdessen in der katholischen Liturgie Halt. Dort würde vieles gesagt, was nicht gesagt werden kann. Er mahnt, der Seele eine Verortung zu geben. «Für die meisten Leute sind die traditionellen Religionen aus guten Gründen unmöglich geworden. Aber die Seele braucht einen Ort, an dem sie sich aufhalten kann, und hat sich in die Kunst zurückgezogen. Religion und Kunst sind wie die zwei Seiten einer Medaille. Die Kunst, also im weitesten Sinne Literatur, Malerei, Musik und so weiter, bewahrt eine spirituelle Ebene, ohne die wir zu Unmenschen verrohen würden.»

Unio mystica

Das grosse Anliegen des Dominikanermönches und Philosophen Eckhart befasste sich mit der Frage nach der Berührung von Seele und Gott. Die Seele ist bei ihm das innere Licht. Die mystische Spiritualität, die Einheit mit Gott, darauf kam es ihm an. Das fasziniert Jon Fosse und wird für ihn zum schöpferischen Antrieb: «Ich bin ein extrem schneller Schreiber. Ich bin ein Maniac. Ich mache nie vorher einen Plan, wenn ich an einem Buch oder einem Stück arbeite. Ich recherchiere auch nicht, ich schreibe einfach los, höre zu und schreibe weiter. Irgendwann habe ich angefangen zu fragen, wo das eigentlich alles herkommt.»

Da komme etwas zu ihm, er plane es nicht und denke es sich auch nicht aus. Es passiere einfach. Aber woher kommt dieser Impuls? Schreiben transzendiere ihn, und er sagt: «Ich finde, es gibt einen Frieden, ein Leuchten in meinem Schreiben, eine Art von Liebe. Das ist auch eine Botschaft.»

Spiritualität der Stille

Ein Journalist der Tageszeitung «Die Welt» fragte den Autoren: «Ähnlich wie die Musik von Arvo Pärt scheint auch Ihr Werk auf die Stille zuzustreben.» Fosse antwortete: «Für mich, aber vielleicht mehr noch für Arvo Pärt bedeutet die Stille eine Nähe zu Gott. Wenn man Gott irgendwo hören kann, dann in der Stille.»

Dieser Beitrag erschien beim Forum Intergriertes Christsein.

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Quelle: Forum Integriertes Christsein

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