Abstimmungs-Vorschau

Nur Kritik oder schon Hass?

Ist die Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm eine Zensur oder ein gerechtfertigter Schutz vor Hass und Gewalt? Was erwartet Christen, wenn sie über biblische Aussagen zu sexuellen Beziehungen sprechen? Die Debatten laufen auf Hochtouren.
Anti-Rassismus-Strafnorm Plakate
SEA-Generalsekretär Marc Jost gibt Auskunft bei «10vor10».
Reformierte Kirche Winterthur-Wülflingen
Päivi Räsänen

Am 9. Februar stimmt das Schweizer Volk darüber ab, ob die Strafbarkeit des öffentlichen Aufrufs zu Hass und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung in den Artikel 261bis des Strafgesetzbuches aufgenommen werden soll. Auch um Diskriminierung geht es.

Bei einem Ja fürchten die einen die Einschränkung der Meinungsäusserungs- und Gewissensfreiheit. Bei einem Nein befürchten andere, dass Hass und Gewalt gegenüber homosexuell lebenden Personen in der Gesellschaft toleriert würden.

Ein Ringen um die richtige Position

Die EVP Schweiz hat Stimmfreigabe beschlossen. Ihre Kantonalsektionen Bern und Baselstadt plädieren jedoch für ein Nein. Die EDU war am Referendum massgeblich beteiligt und empfiehlt folgerichtig ein Nein.

Gleich äussert sich die Schweizerische Evangelische Allianz SEA. SEA-Vorstandsmitglied und VFG-Präsident Peter Schneeberger schreibt auf Facebook, er erachte es als nicht gut, «dass alle möglichen ethischen 'Identitäten' politisiert werden. Das birgt die grosse Gefahr, dass wir in der Schweiz nur noch Identitätspolitik machen.» Diese «Identitäten» würden dann auf einen Sockel gehoben und seien unantastbar. Der Verband Freikirchen Schweiz VFG hat keine offizielle Stellungnahme veröffentlicht.

Der Ausschuss Kirche und Gesellschaft der Evangelisch-methodistischen Kirche EMK plädiert für ein Ja. Damit liegt die EMK auf der Linie der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz, dessen Mitglied sie ist.

Trauungen und Anstellungen

Der SEA sei wichtig, «dass niemand aufgrund seiner Überzeugungen und aufgrund der sich daraus ergebenden Folgen, wen er anstellt oder nicht anstellt, welche Paare er traut oder nicht traut, unter den Strafartikel fällt.» So erklärte Marc Jost, SEA-Generalsekretär, in der SRF-Sendung 10vor10, warum er die Erweiterung der Rassismus-Strafnorm auf die sexuelle Orientierung ablehnt. Florian Vock, selbst schwul und Präsident des Abstimmungskomitees «Ja zum Schutz vor Hass», hält dies in der gleichen Sendung für ein gesuchtes Argument: «Man muss mir den schwulen Mann oder die lesbische Frau zeigen, die noch ernsthaft Lust hat, in einer Kirche mitzuarbeiten und mitzuwirken, die sie als Mensch ablehnt. Ich glaube, es gibt genug andere evangelische Kirchen, zum Beispiel die reformierte Landeskirche, die da eine andere Haltung haben. Dort ist man willkommen.»

Vock spricht von Ablehnung schwuler Menschen. Christen, welche die Segnung einer homosexuellen Beziehung ablehnen, betonen jedoch in aller Regel, dass es bei der Ablehnung um die homosexuellen Praktiken, nicht aber um die Menschen geht. Menschen mit einem homosexuellen Lebensstil lassen diese Unterscheidung in der Regel nicht gelten. Hier liegt der Hase im Pfeffer: Was als Kritik an einem Lebensstil gesagt wird, kann als Ablehnung der Person, als Hass, Diskriminierung und Herabsetzung aufgenommen werden.

Kein Problem für landeskirchliche Pfarrer?

Wenn Florian Vock sagt, die Evangelische Landeskirche sei pauschal für das Ausleben der Homosexualität, dann vergisst er die rund 170 Pfarrer, die eine kritische Erklärung zur «Ehe für alle» unterzeichnet haben. Und wenn Stephan Bischof von der Homosexuellen-Organisation Pink Cross vor einem Jahr gegenüber idea äusserte, für ihn sei eine die Homosexualität ablehnende Haltung von Landeskirchenpfarrern nicht tolerierbar, so stellt sich die Frage der Gewissensfreiheit für die Pfarrer. Wenn jemand gegen einen Pfarrer klagt, der die Segnung oder Trauung eines homosexuellen Paares ablehnt, nützt es dem Pfarrer strafrechtlich wenig, dass seine Kirchenleitung ihm Gewissensfreiheit zusagt.

Auch dass Schwule und Lesben sich gar nicht erst an Pfarrer wenden würden, die homosexuellen Praktiken kritisch gegenüberstehen, dürfte sich nicht bestätigen. Vor wenigen Monaten gingen ein Homosexueller und eine verdeckte Redakteurin unter Angabe falscher Motive zu einem Innerschweizer Psychotherapeuten, um ihn dann medial anzuprangern. Von da ist es nicht weit, Pfarrer verdeckt zu kontaktieren und sie dann medial und juristisch anzugreifen.

Räume vermieten - auch für Homo-Heiraten?

Noch deutlicher wird die Lage, wenn es um das Vermieten von Räumen geht. Das macht Martino Mona, Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Uni Bern, auf reformiert.info klar. Hoteliers dürften homosexuellen Paaren das Vermieten von Doppelzimmern nicht mehr verweigern. Immer mehr Freikirchen bieten ihre Räume öffentlich zum Mieten an oder haben in ihren Bauten Mietwohnungen. Auch sie dürften die sexuelle Orientierung nicht mehr als Kriterium bei der Raumvergabe anwenden.

Wie umgehen mit unpersönlichen Beleidigungen?

Rahel Mühlemann, Vorstandsmitglied des Vereins Zwischenraum, erklärte auf Radio Life Channel: «Wenn man jemanden als Einzelperson beleidigt, greift das Gesetz. Aber man kann homosexuelle Leute als ganze Gruppe beleidigen. Zum Beispiel kann man sagen: 'Homosexuelle Leute sind minderwertige Personen.'» Trifft dies auf ein Interview der Pendlerzeitung 20 Minuten zu, welches Hintergründe zu kürzlichen Schlägereien in Zürich aufzeigen will? Ein junger Mann sagte darin unverblümt, dass Homosexuelle sich in gewissen Zürcher Siedlungen nicht outen sollten, wenn sie nicht Prügel einstecken wollen. Auf seine Bemerkung, «im Kopf von Schwulen stimmt etwas nicht», hakte der Reporter nach, ob man denn Schwulsein heilen könne. Antwort: «Ja, mit ein paar Schlägen.»

Was sagt das Strafgesetz bisher zu solchen Aussagen? Fündig werden wir in Artikel 259, Absatz 2: «Wer öffentlich zu einem Vergehen mit Gewalttätigkeit gegen Menschen oder Sachen auffordert, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.» Die Bedrohung muss also nicht direkt an eine Person adressiert sein. Die Befürworter der Gesetzesänderungen wollen nun aber auch, dass öffentliche erniedrigende Aussagen ohne Gewalt strafbar werden.

Mit dieser letzten Forderung sind wir wieder bei der Frage, was als erniedrigend erachtet werden soll. «Es stimmt, dass die Anti-Rassismus-Strafnorm bereits in ihrer jetzigen Form schwer anwendbar ist», räumt der weitgehend vom Bund unterstützte Verein humanrights.ch ein. Es sei eine schwierige Aufgabe, das Gleichgewicht aufrechtzuerhalten, welches dieser Artikel für eine glaubwürdige und effektive Anwendung benötige. Trotzdem setzt sich der Verein für die Erweiterung des Gesetzesartikels ein. Er will sich sogar für eine zusätzliche Erweiterung auf das Kriterium der Geschlechtsidentität einsetzen. Der Ständerat hatte dafür gesorgt, dass diese Forderung nicht in der aktuellen Vorlage steht.

Der Druck vom Ausland

Bemerkenswert ist eine weitere Aussage von humanrights.ch: Der Bundesrat unterstütze die Vorlage vom 9. Februar «aufgrund der internationalen Sachlage», obwohl er «weiterhin der Ansicht ist, dass das bereits geltende Recht einen erweiterten Schutz für die betroffenen Personen bietet und weitere Regelungen nicht erforderlich sind.»

Apropos Ausland ein aktuelles Beispiel: Die finnische Staatsanwaltschaft verhörte kürzlich die christdemokratische Parlamentarierin und Ex-Ministerin Päivi Räsänen stundenlang. Gegen Räsänen wird ermittelt wegen eines Facebook-Posts und eines 15 Jahre alten Büchleins, das beim lutherischen Verlag noch online verfügbar ist. Sie hatte an die Kirche appelliert, am biblischen Menschenbild von Mann und Frau festzuhalten.

Katharina Fontana schreibt in der «Weltwoche» von einer «unklaren Strafnorm»: «Welches Verhalten unter den erweiterten Antirassismus-Artikel fallen würde, ist nur schwer vorherzusehen, auch für Juristen. Ein gutes Gesetz sieht anders aus.» Weit hergeholt sind die Befürchtungen des Nein-Komitees jedenfalls nicht. Zu diesem Schluss kommt die Weltwoche auf Basis eines Rechtsgutachtens der Stiftung Zukunft CH, das sie in vollem Umfang online publiziert hat.

Zum Thema:
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Datum: 28.01.2020
Autor: David Gysel
Quelle: idea Schweiz / Zukunft CH

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