Gott und sein Bodenpersonal
Es klingt logisch und triggert im Kopf sofort bestimmte Assoziationen: Kirchen-Bashing ist nicht schwer. Missbrauchsfälle und moralische Entgleisungen von Promi-Pastoren sind ja nur die Spitze des Eisbergs, denkt sich der Normalbürger. Und wenn man unter «Kirche» dann noch – undifferenziert – die Gesamtheit der öffentlich-organisierten Formen des Christentums versteht, wird ziemlich sicher immer irgendwo eine Negativ-Nachricht zu finden sein, die sich im Kopf festsetzt. Mal ganz abgesehen von dem Unbehagen, das Mega-Kirchen und gleissend im Rampenlicht stehende Pastoren bei uns Normalos auslösen.
Genauer hinsehen
Es gibt auch eine andere Seite, das oben genannte Zitat zu verstehen. Wer «Jesus Ja, Kirche na ja…» sagt, müsste sich mal fragen, welchen Jesus er da meint: den sympathischen Netten, der alle liebte – oder den realen, eckigen Jesus, der nicht dafür gekreuzigt wurde, weil er so nett war, sondern den Anspruch erhob, Gott in Menschengestalt zu sein und der nicht Bewunderer, sondern Nachfolger suchte? Wer sich die Mühe macht, die Worte und Taten von Jesus in ihrer Gesamtheit zu lesen, nicht postmodern weichgespült, wird sich ungemein herausgefordert sehen.
Und die Kirche: Die Fehler und Schwächen, die «der Kirche» zugeschrieben werden, relativieren sich, sobald Namen genannt werden. Nehmen wir drei Leiter, die in den letzten beiden Monaten gestorben sind: George Verwer, Geri Keller und Tim Keller waren Männer mit weltweiter ungeheurer Auswirkung, nicht fehlerlos, aber ohne Skandale. Keine Heuchler, sondern Vorbilder und Motivatoren für Unzählige.
Gar nicht zu reden von den Millionen von Christen und Kirchen, die in aller Welt und in aller Stille Gutes tun, Migranten helfen, der Gesellschaft dienen, Kranke heilen und sich für Arme, Benachteiligte und allgemein Gerechtigkeit einsetzen. Ja, auch in den USA.
Das innere Paradox
Die «Kirche» steht unter einem inneren Paradox. Der Gründer wies seine ersten Nachfolger an, hinauszugehen «in alle Welt» und «alle Völker zu Jüngern zu machen». Ein grösserer Auftrag geht nicht. Jetzt passiert aber Folgendes: Je mehr Menschen «Christen» werden, desto mehr werden sie zu einer gesellschaftlichen Realität und desto mehr laufen sie auch Gefahr, sich mit politischen Strukturen zu verbinden oder von Macht und Geld korrumpieren zu lassen.
Im 4. Jahrhundert waren etwa ein Drittel der Menschen im römischen Reich Christen – daraus erwuchs bekanntlich mit Hilfe Konstantins die «Christenheit». Ihre Geschichte zeigt: Je grösser, desto gefährdeter. Desto mehr Menschen laufen mit, weil es «in» ist, gesellschaftliche Vorteile und Einfluss bringt. Und desto problematischer wird das Gesamtbild, das man von «den Christen» und «der Kirche» hat.
Die ganz andere Seite
Dazu kommt noch eine ganz andere Seite: Die Kirche als «Kontrastgesellschaft» wird immer (wie ihr Gründer auch) bestimmte Ansichten vertreten, die gesellschaftlich nicht Mainstream sind. «Wehe, wenn alle Leute gut von euch reden», warnte Jesus seine Nachfolger, und er sagte voraus: «Haben sie mich verfolgt, werden sie euch auch verfolgen.» Dieses «erlösende Anderssein» der Kirche ist ein weiterer Grund, warum sich viele an ihr stossen, und der versteckte – und in vielen Ländern auch offene – Aggressionen gegen die «Kirche» auslöst.
Nicht entschuldigen, aber vergeben
Eins ist klar: Als Jesus sich entschied, nicht Engel, sondern Menschen zu seinen irdischen Repräsentanten zu machen, ging er ein Risiko ein. Aber das wusste er. Er wollte eben ein Volk, eine neue Gemeinschaft. In diesem Volk kommen Fehler, kommt Schuld und Versagen vor, oft im ganz schmerzhaften Gegensatz zum hohen Anspruch, den man an die Kirche hat. Das darf man nicht entschuldigen; aber letztlich ist Kirche kein Ort der Perfektion, sondern der Vergebung. Das Christentum ist nicht eine Moralanstalt, sondern eine Erlösungsreligion. Oder wie ihr Gründer mal sagte: «Wer unter euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.»
Unser Rat: Statt bequem über «die Kirche» zu lästern, gehen Sie hin und machen Sie sie besser. Sobald «die Kirche» zu einer konkret erlebten, realen Erfahrung wird, könnten Sie Ihr persönliches blaues Wunder erleben und merken, dass Kraft und Veränderung nicht im bequemen Sessel, sondern in und durch die gelebte Gemeinschaft erfahren werden.
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Datum: 08.06.2023
Autor:
Reinhold Scharnowski
Quelle:
Jesus.ch