Von der Theorie zur Praxis

Mehr Frauen in (Gemeinde)Verantwortung

Gut die Hälfte der Menschen in unseren Kirchen und Gemeinden sind Frauen. Jedenfalls als Mitglied oder Besucherin. Was eine Mitarbeit in leitender Funktion angeht, da hat in den letzten Jahren zwar ein Umdenken eingesetzt, allerdings trägt es bis jetzt fast keine Früchte. Ein unhaltbarer Zustand. Aber einer, an dessen Änderung wir Männer mitarbeiten sollten.
Angenehme Atmosphäre in der Kirche

In freikirchlichen Gemeinden spielen Pastorinnen und Frauen in den Gemeindeleitungen nur eine untergeordnete Rolle. Im landeskirchlichen Umfeld sieht das erst einmal anders aus, doch spätestens eine Hierarchieebene weiter oben begegnet uns das klassische Bild: Männer unter sich. Erstaunlicherweise spielt dabei die «biblische» Argumentation (in bewussten Anführungszeichen) kaum mehr eine Rolle. Man(n) hätte nichts dagegen, dass Frau hier aktiver würde. Doch man hat auch nichts dafür – und so bleibt alles beim Alten. Der US-Pastor und Missiologe Ed Stetzer weist in Christianity Today auf diese Diskrepanz hin und wünscht sich, «proaktiv zu planen, um weibliche Führungspersönlichkeiten heranzubilden, ihre Gaben zu entwickeln und ihnen eine Chance zu geben». Konkret bedeutet das:

Bringen Sie Ihr Vertrauen in weibliche Führungskräfte zum Ausdruck

Ein Schlüssel ist es, anderen zuzusprechen, dass man Leitungspotenzial in ihnen sieht. Paulus machte das mit Timotheus so: «Vernachlässige nicht die Gnadengabe in dir, die dir verliehen wurde durch Weissagung unter Handauflegung der Ältestenschaft!» (1. Timotheus, Kapitel 4, Vers 14). Stetzer erzählt in diesem Zusammenhang von seinen Erfahrungen am Wheaton College. Allein durch ihre Prägung kommen Männer viel eher auf die Idee: Ich sollte ein Leiter werden. Frauen warten seiner Einschätzung nach oftmals auf eine Einladung oder Bestätigung – ohne dass ihre Qualifikationen schlechter wären.

Wertschätzen Sie Leiterinnen

Ohne Frauen, die Verantwortung übernehmen, wäre Gemeindearbeit nicht möglich und Mission längst ein Auslaufmodell. Aber Stetzer zeigt, dass sie oftmals zwar einen Löwenanteil der Arbeit bewältigen, aber durch Konventionen und Gewohnheiten kein Teil der «bedeutungsvollen Gespräche» sind. «Stellen Sie sicher, dass Frauen nicht nur einen Platz am Tisch haben, sondern auch eine Stimme», betont er. In einem christlichen Umfeld hat sich oft eine Stellvertreterkultur herausgebildet: Wenn kein «Bruder» da ist, dann darf ausnahmsweise auch eine «Schwester» einspringen – sozusagen als Lückenbüsserin. Das ist allerdings keine Wertschätzung. Genau wie Männer haben Frauen Leitungsgaben – und sollten diese auch einsetzen.

Unterstreichen Sie den Bedarf an Frauen in Leitungspositionen

Solange Gemeinden genauso wie Politiker über Quotenregelungen nachdenken oder meinen, dass das «Problem» sich irgendwann von selbst erledigt, wird nicht viel passieren. Es ist ein klares Signal nötig: Wir brauchen Frauen in Leitungspositionen! Wir wollen nicht länger 50 Prozent der Menschheit davon ausschliessen. Wir wollen von ihren Gaben und ihrem weiblichen Blick auf die Dinge profitieren. Und wir wollen, dass sie den Platz ausfüllen, den Gott ihnen zugedacht hat.

Schaffen Sie die nötigen Rahmenbedingungen

Es kam schon zur Sprache: Das Überzeugtsein von solchen Ideen reicht nicht aus. Deutlich wird dies unter anderem in der Politik. An wenigen Orten wird so vehement für Beteiligung von Frauen geworben bzw. eine Quotenregelung eingefordert. Und das Resultat? Die deutsche SPD verabschiedete vor 32 Jahren (!) eine angestrebte Frauenquote von mindestens 40 Prozent – und erreichte bis heute 32 Prozent. Die CDU tut sich schwer mit solchen Quotenregelungen und dümpelt bei 26 Prozent herum. Die Grünen-Politikerin Mariella Kessler nannte in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau verschiedene Hindernisse dafür: fehlende weibliche Vorbilder, den Vorrang von Macht- vor Sachfragen oder auch männlich orientierte Stammtischstrukturen in der Kommunalpolitik, in denen Frauen sich einfach nicht wohlfühlen.

Im Gemeindekontext ist dies völlig anders – und leider eben doch nicht… Wer also Frauen in eine Gemeindeleitung einladen will, sollte auch darauf achten, dass die Einladung so aussieht, dass sie sie annehmen können.

Sitzen Sie das «Problem» nicht aus

Das grösste Problem in der ganzen Frage ist allerdings die «Schwerkraft». Es ist einfacher, so weiterzumachen wie bisher, als etwas zu ändern. Bevor man «die Frauenfrage» in seiner Gemeinde diskutiert, bestätigt man doch lieber diejenigen, die die Gemeinde bereits leiten. Richtig: Männer. Wenn wir als Männer uns nicht dagegen wehren, wird es zu solchen Anachronismen und Peinlichkeiten kommen wie beim Wahlrecht für Frauen. Das muslimische Aserbaidschan ratifizierte solch ein Frauenwahlrecht bereits 1919. Die Männer der Schweiz (es waren ja die einzigen, die abstimmen durften!) liessen sich bis 1971 Zeit, die Männer in Liechtenstein sogar bis 1984. Peinlich? Peinlich. Und da die meisten Kirchen und Gemeinden längst davon überzeugt sind, dass hier eine Veränderung ansteht, könnten wir das Ganze auch direkt angehen…

Zum Thema:
Im Livenet-Talk: Wie werden Frauen fürs Leben befähigt?
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«Ja, sie dürfen lehren und leiten»: Chrischona Schweiz ebnet Frauen den Weg auf die Kanzel

Datum: 01.08.2020
Autor: Hauke Burgarth / Ed Stetzer
Quelle: Livenet / Christianity Today

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