Eine Gemeindegründungswelle in der Schweiz auslösen
Livenet: Christian Kuhn, was steckt hinter dem Begriff NC2P?
Christian Kuhn: Die Idee zu diesem Gemeindegründungsprozess ist nicht ganz neu und wurde bereits mit dem DAWN-Programm angepeilt (DAWN: eine ganze Nation zu Jüngern machen). Das Prinzip, worauf DAWN aufgebaut war, stammte von Jim Montgomery. Es ging darum, dass sich die Kirchen einer ganzen Nation auf Gemeindegründung konzentrieren und eine Bewegung entfachen, die zu einem Selbstläufer wird. DAWN war zum Beispiel auf den Philippinen erfolgreich, aber in Europa kam die Bewegung nie wirklich in Fahrt. Das Hauptproblem lag wohl unter anderem darin, dass DAWN eine zu ausgeprägte Top-Down-Strategie verfolgte. NC2P hat zwar einen ähnlichen Ansatz, aber auch einige bedeutsame Unterschiede.
Wie ist das Programm in die Schweiz gekommen?
Einige Freunde haben sich während etwa fünf Jahren intensiv über die Weiterentwicklung eines DAWN-Programms in Europa unterhalten. Dazu gehören Øivind Augland (N), Dietrich Schindler (D), Raphaël Anzenberger (F), Martin Robinson (UK), Ron Aderson (E) und Murray Moerman (CA). Ihnen gemeinsam war, dass sie bereits während mehreren Jahren das Thema Gemeindegründung in ihren eigenen Ländern intensiv verfolgt hatten. Das Gemeindegründungs-Tool M4 (m4europe.com), das unter anderem daraus entstand, wurde vorerst in Norwegen getestet und war dort rasch sehr erfolgreich. Auch in Frankreich erwies sich ein angepasstes Konzept als wirkungsstark. Zu Beginn gab es im Land alle 32 Tage unter dem Strich eine neue Gemeinde. Heute entsteht in Frankreich knapp jeden 10. Tag eine neue Gemeinde (Livenet berichtete). Es sind Gemeinden, die evangelistisch aktiv sind. NC2P in Frankreich hat sich jetzt zum Ziel gesetzt, jeden 5. Tag eine neue Gemeinde zu gründen (siehe dazu die Webseite 1pour10000.fr). Mittlerweile läuft das Programm in rund 30 Ländern. Da wollten wir als Schweizer nicht abseits stehen.
Was ist das Charakteristikum von NC2P im Vergleich zu anderen Gemeindegründungsprogrammen?
NC2P stellt den Verbänden viele Tools zur Verfügung, zum Beispiel das Auswahlverfahren für die Gemeindegründer – mit einem Assessment. Es geht darum, die am besten für Gemeindegründungen begabten Leiter zu finden. Dazu werden die Qualifikationen und Charakterzüge der interessierten Leute überprüft. Es werden auch gemeinsame Feldstudien durchgeführt. Ausserdem werden Gemeindegründungs-Ausbildungsmodule angeboten. Wir haben zum Beispiel einen M4-Kurs gestartet. Es werden erfahrene Gründungscoaches zur Verfügung gestellt und Learning Communities organisiert, in denen sich Gemeindegründer treffen und austauschen – und voneinander lernen. Eine gemeinsame Plattform stellt diese und weitere Angebote zur Verfügung. Wichtig dabei ist, dass ein Chrischona-Gemeindegründer eine Chrischona-Gemeinde gründet – oder ein Vineyard-Mitarbeiter eine Vineyard-Gemeinde, also Gemeinden mit der gleichen DNA.
Gibt es in der Schweiz schon Erfahrungen mit dem Programm?
Wir haben uns zuerst gefragt, ob wir in der Schweiz einen einzigen gemeinsamen Gemindegründungsprozess starten sollten. Wir kamen aber zum Schluss, in den Sprachregionen und kulturell unterschiedlichen Landesteilen eigene Prozesse aufzugleisen, die sich aber laufend dazu austauschen. Wir sind somit daran, zwei unterschiedliche Gemeindegründungsprozesse für die Schweiz zu entwickelt.
Wo liegen für NC2P die Unterschiede zwischen der Romandie und der Deutschschweiz?
In der Westschweiz ist die Bereitschaft zur Gemeindegründung bereits hoch entwickelt. Sämtliche Verbände sind interessiert, (evangelisierende) Gemeinden zu gründen. Die Eglise Apostolique (in der Deutschschweiz BewegungPlus) hat elf Gemeinden und gleichzeitig elf Gemeindegründungsprojekte, strebt also eine 100-Prozent-Multiplikation an. Eine so hohe und flächendeckende Bereitschaft zur Gemeindegründung nehmen wir in der Deutschschweiz noch nicht wahr, obwohl das Interesse wächst. Weil in der Westschweiz der Freikirchenverband und die Evangelische Allianz fusioniert haben (zum Réseau évangélique suisse, Anm. d. Red.), fallen Entscheidungen oft schneller, was den Prozess beschleunigt hat. Die bestehende Spurgruppe ist aber auch in der Deutschschweiz auf wachsendes Interesse gestossen.
Wie soll NC2P in der Deutschschweiz verbreitet werden? Wer ist bereits eingestiegen?
Die FEG betreibt mit «Vision Schweiz» bereits ein Gemeindegründungsprogramm und braucht NC2P eigentlich gar nicht. Ihr Präsident, Peter Schneeberger, ist aber an der Verlinkung sehr interessiert. Auch die VFMG und Vineyard sind interessiert, ebenso Chrischona und weitere Verbände. Es braucht idealerweise 70 Prozent der Verbände in einem Land oder einer Region, damit das Programm eine optimale Erfolgschance hat. In der Deutschschweiz sind es jetzt rund 40 Prozent, in der Westschweiz schon 95 Prozent.
Gibt es konkrete Ziele?
Es geht beim Prozess darum, möglichst viele neue evangelisierende Gemeinden zu gründen. Da sich die Gründer von Anfang an mit Mitstreitern aus anderen Verbänden austauschen, wächst der gegenseitige Respekt. Der Prozess kann damit auch die Einheit zwischen den freikirchlichen Verbänden stärken.
Um zielgerichtet arbeiten zu können, werden Feldstudien durchgeführt. Dazu werden Fachleute beauftragt, das Terrain zu erforschen, auf dem Gemeinden entstehen sollen: geografisch, kulturell und soziologisch. Dabei wird festgestellt, wo es am sinnvollsten ist, neue Gemeinden zu gründen. Das soll ja dort versucht werden, wo es noch nicht viele Gemeinden gibt. In der Westschweiz arbeiten wir bereits daran, wobei das Institut Emmaus, das neu eine Fachhochschule für Theologie betreibt, federführend ist. Ein Fachlehrer arbeitet dazu mit Studenten. Es gibt in der Romandie auch ein zweijähriges M4-Pionierprojekt unter der Leitung des Norwegers Øivind Augland und des Tschechen Jirì Unger.
Und wo steht die Deutschschweiz?
In der Deutschschweiz stehen wir noch am Anfang. Wir haben hier aber mit «&acts» (andacts.ch), dem früheren Aussendungshaus, einen sehr kompetenten Partner gefunden, der sich zur Verfügung gestellt hat, das M4-Programm in der Deutschschweiz zu testen. Ich stelle in der Deutschschweiz bereits eine fantastische Dynamik fest, was mich als Westschweizer riesig freut. Meines Wissens, kommt es nicht so oft vor, dass ein Westschweizer der Deutschschweiz ein Projekt schmackhaft machen kann... Ich werde mich aber als Leiter der Spurgruppe wieder zurückziehen, sobald die NC2P-Gruppe einen Koordinator definiert hat.
Zur Person
Christian Kuhn (46) ist Pastor, Referent, Trainer und Gemeindegründer, u.a. mit der Jüngerschaftsbewegung @home im der Romandie. Er ist Generalsekretär der Schweizerischen Evangelischen Allianz in der Westschweiz (Réseau évangélique suisse, RES) und Gründer von Leiterschaftsschulen und verschiedenen konfessionellen und nicht konfessionellen NGOs. Als Ingenieur und Pastor ist er ein unkonventioneller Xpand-Trainer, Coach und Projektleiter mit Mandaten in mehreren nationalen und europäischen Projekten. Christians Berufung ist es, Menschen, Leiter, Generationen, Bewegungen, Kulturen, Kirchen, Konfessionen und Organisationen zusammen für das Reich Gottes zu verbinden. Christian ist mit Francine verheiratet und hat zwei Kinder. Als perfekter Billingue ist er ein idealer Brückenbauer zwischen Deutsch- und Westschweiz.
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Datum: 11.05.2017
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet