IGW-Rektoren im Gespräch

«Wir wünschen uns, dass die Kirche ein Comeback feiert»

Dieses Jahr hat das Institut für Gemeindebau und Weltmission IGW zwei Rektoren: Fritz Peyer und Michael Girgis. Danach wird Peyer zurücktreten. Im Interview erklären die beiden, warum sie überzeugt sind, dass die Kirche nicht ausgedient hat.
Fritz Peyer (li) und Michael Girgis (re).

ideaSpektrum: Fritz Peyer, nach 14 Jahren starten Sie ins letzte Jahr als IGW-Rektor. Wie geht es Ihnen?
Peyer: Ich bin völlig relaxed. Vor fünf Jahren haben wir die Nachfolgeregelung eingeleitet. Dass ich jetzt noch ein Jahr mit Michael Girgis zusammen die Rektoratsarbeit tun darf, erachte ich als Glücksfall. Er wird einige seiner bisherigen Aufgaben weiterpflegen und dann allmählich abgeben, während ich ihn in meine Tätigkeiten einführe.

Das IGW ist eine Erfolgsgeschichte. 1996, nur fünf Jahre nach der Gründung, hatte das IGW über 100 Studierende. Was hat das IGW besser gemacht als andere?
Peyer: Unser Ziel ist es, Menschen mit einem Ruf in den vollzeitlichen Dienst ein Studium auf dem zweiten Bildungsweg zu ermöglichen. Dazu bieten wir ihnen die nötige, praxisgerechte Ausbildung.
Girgis:
Das offene Geheimnis vom IGW ist die duale Ausbildung, wie wir sie von der Berufslehre oder den Fachhochschulen her kennen. IGW ist inzwischen auch in Deutschland und Österreich etabliert.

Können Sie uns Zahlen nennen: Wie viele Studierende sind es insgesamt?
Girgis: In allen Studiengängen zusammen sind es rund 330 Studierende.

Tauchen in der Kirchenlandschaft neue Begriffe auf, dann gehen die häufig zurück auf das IGW. Ich nenne zwei Beispiele: «transformativer Lebensstil» bzw. «Transformation» und «missional». Was bedeuten diese Begriffe?
Girgis: Stichwort «transformativ»: Wenn Gottes Reich in die Welt einbricht, geschieht Transformation. Menschen, die mit Gott unterwegs sind, erfahren Veränderung in ihrem Denken, Leben und Handeln. Das wirkt sich auf ihr Umfeld aus, färbt ab, steckt andere an. Ausgangspunkt dieser Transformation ist Gott, der Menschen berührt. Gott führt seine Mission aus, die Missio dei. Der Mensch soll sich von Gott brauchen lassen und mitarbeiten. Das ist missional, ein Lebensstil, der anderen auffällt und sie fragend macht, sowohl innerhalb wie ausserhalb der Gemeinde. Die missionale Theologie erweitert die traditionelle evangelikale Auslegung mit Themen, die vorwiegend im theologisch-liberalen Bereich gepflegt werden, sprich soziale Fragen und Umweltschutz.

Begeben Sie sich da nicht auf den Weg in den Humanismus? Wie wollen Sie im Gleichgewicht des Glaubens bleiben?
Peyer: Weltweit betrachtet hat sich die missionale Auslegung in der evangelikalen Theologie durchgesetzt. Das ist seit Lausanne 1974 zu beobachten. Es gelingt offensichtlich, das Kreuz im Zentrum zu behalten und gleichzeitig die umgestaltende Kraft des Evangeliums auf zusätzliche Bereiche auszuweiten. Im deutschsprachigen Raum besteht in dieser Hinsicht Nachholbedarf. Wir hinken einige Jahre hinterher. Was heisst, zum Beispiel, 'die Schöpfung bewahren' im Rahmen unseres theologischen Verständnisses? Auf einen einfachen Nenner gebracht, kann man sagen: Missionale Theologie hilft, meinen Auftrag als Christ in der Welt zu finden.

Braucht es da noch eine Bekehrung?
Peyer:
Natürlich, das ist die Entscheidung, mit Jesus unterwegs zu sein.

Das Christentum verliert in der Schweiz an Einfluss. Was ist passiert?
Peyer: Als Freikirchlich-Evangelikale haben wir die Hausaufgaben nicht gemacht. Wir haben zu einseitig auf Mission und Bekehrung gesetzt und die Fragen der sozialen Gerechtigkeit und den Umgang mit der Schöpfung links liegengelassen. Missionale Theologie führt mich dazu, die Bibel neu zu lesen.
Girgis:
Es hat gesamt-gesellschaftlichen Einfluss, wenn in Kirchen nicht mehr darüber geredet wird, dass Gott existiert und die Menschen liebt. Ohne Gottesbeziehung nett zu einander sein, hat keine Kraft. Ohne ein klares Zentrum verliert der Glaube seine Relevanz – sowohl dort, wo man die Tradition über alles stellt, als auch dort, wo der Liberalismus dominiert.

Wie wird die Botschaft des Gekreuzigten und Auferstandenen wieder zu einer guten Nachricht in unserer Gesellschaft?
Girgis:
Auf der Methodenebene wird dafür viel Gutes angeboten. Aber dem geht etwas voraus. Zuerst müssen wir klären, was «Evangelium» meint. In welcher Hinsicht ist es eine gute Nachricht für die Menschen von heute? Wir dürfen nicht allein die Kurzversion in vier Punkten präsentieren.

Sondern?
Girgis: Auch wenn die Menschen auf der Strasse aus theologischer Sicht erlösungsbedürftig sind, leiden sie nicht wissentlich unter ihrer Sünde. Sie sind aber möglicherweise beruflich überfordert, haben zu wenig Geld, leben in gescheiterten Beziehungen. Sie suchen aber nicht, wie damals Luther, einen gnädigen Gott. Wir müssen an einem anderen Punkt ansetzen, bevor wir zur Sünde gelangen. Das Evangelium gibt Antwort auf die unterschiedlichsten Nöte der Menschen. Darauf müssen wir als erstes Antworten geben. Und irgendwann werden wir dann auch an der Sünde vorbeikommen.

Was ist Ihr Traum für die Christen in der Schweiz, Michael Girgis?
Girgis: Dass die Christen und Kirchen in der Schweiz ein Comeback feiern, weil sie merken, welchen Auftrag sie in der Gesellschaft haben und Wege finden, diesen auszuführen. Das hat mit unseren Gemeinden zu tun. Kirche ist kein Auslaufmodell. Sie hat Zukunft. Ich wünsche allen Gemeindeleitern, Pfarrern und Pastoren, dass sie an diese Perspektive im Zusammenhang mit Gottes Mission glauben.

Was wünschen Sie Ihrem Nachfolger?
Peyer: Dass sein Traum Wirklichkeit wird! Und dass er sich auch in Zukunft in einem inspirierenden Team bewegen darf.

Zur Webseite:
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Datum: 10.09.2016
Autor: Rolf Höneisen
Quelle: ideaSpektrum Schweiz

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