Den Nahostkonflikt besser verstehen
Sein Vater Scheich Hassan Yousef war einer der Mitbegründer der Hamas. Er selbst fand sich noch vor dem Ende seiner Schulzeit mitten in den Auseinandersetzungen der Palästinenser gegen Israel wieder. Eigentlich war sein Weg in den Terrorismus bereits vorgezeichnet, doch dann wurde Mosab Hassan Yousef verhaftet, erlebte im Gefängnis die für ihn verkehrte Welt von (auch) verständnisvollen Israelis und von Hamas-Anhängern, die dort ihre eigenen Leute folterten und töteten.
Noch im Gefängnis erklärte er sich deshalb bereit, als Informant für den israelischen Geheimdienst Schin Bet zu arbeiten. Das tat er zehn Jahre lang unter dem Decknamen «Grüner Prinz». Seit 2007 lebt er im Asyl in den USA. Vor über zehn Jahren schrieb er ein Buch über die Hamas, sein Leben und seinen Weg zu einem Leben als Christ: «Sohn der Hamas: Mein Leben als Terrorist». Jetzt ist dieses Buch mit einem aktuellen Vorwort zu den Ereignissen nach dem 7. Oktober 2023 wieder neu aufgelegt worden. Lohnt sich das Lesen?
Geschichtliche Grundlage
Das Lesen des Buches lohnt sich, weil es auf spannende und verständliche Art Einblicke in die jüngere Geschichte des Nahen Ostens bietet. Mosab Hassan Yousef schreibt und denkt blumig-orientalisch, gleichzeitig bringt er Fakten stringent auf den Punkt. Er erzählt die Geschichte der heutigen Terrororganisation Hamas einfühlsam und mit Verständnis, ohne sie zu verteufeln oder zu glorifizieren. Wer schon immer wusste, dass «diese Islamisten alle vom Teufel sind», wird keine Freude beim Lesen haben.
Wer in Israel prinzipiell den Verursacher aller Probleme im Nahen Osten sieht, kommt ebenfalls nicht auf seine Kosten, aber wer Zusammenhänge verstehen möchte, sehen will, warum sich Muslimbruderschaft und Hamas gebildet und schliesslich radikalisiert haben – und warum sie scheinbar resistent gegen westliche Friedensbemühungen sind –, erhält hier viele Einsichten.
Sicher verkörpern sie nicht die alleinige und absolute Wahrheit, aber das Buch über Israel und seine Nachbarn, das dies für sich in Anspruch nehmen könnte, muss erst noch geschrieben werden. Stattdessen bietet «Sohn der Hamas» eine gute Verständnishilfe – es heisst zu Recht: «Nur wer die Welt versteht, kann sie verändern!»
Persönliches Gesicht
Das Lesen des Buches lohnt sich, denn die momentanen Kriegsräte, Friedensdiskussionen und privaten Gespräche um den Überfall der Hamas und die israelische Intervention in Gaza drehen sich oft um reine Sachfragen: die Zahl der Toten, rechtliche Grundlagen für das jeweilige Handeln und die politischen und religiösen Ziele aller Beteiligten und auch der Zuseher aus Europa. Oder sie drehen sich ausschliesslich um persönliche Geschichten: das Leid der Opfer auf beiden Seiten.
Mosab Hassan Yousef bringt in seiner Person und mit seinem Erleben diese beiden Stränge zusammen und macht deutlich, dass der Konflikt der letzten Jahrzehnte genauso wenig wie der der letzten Monate sachlich lösbar ist. Seine persönliche und seine Familiengeschichte mit allen Hochs und Abgründen unterstreicht immer wieder, dass es um Menschen geht – auf beiden Seiten.
Diskussionsbeitrag
Das Lesen des Buches lohnt sich, weil es einen verständnisvollen Weg in eine gute Richtung weist: Frieden durch Christus. Mitten im Durcheinander der eigenen Gefühle und der Zerrissenheit als palästinensischer Doppelagent begegnete Mosab Hassan Yousef Christen, die ihn faszinierten. Beim Lesen in der Bibel stiess er auf Verse wie «Liebt eure Feinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen, und bittet für die, welche euch beleidigen und verfolgen» in der Bergpredigt.
Sie öffneten ihm die Tür in ein neues Leben, das von Vergebung statt Vergeltung geprägt war, von Liebe statt Hass. Ein wertvoller Diskussionsbeitrag wird das Buch dadurch, dass diese Gedanken von jemandem stammen, der «mittendrin» war, und nicht blauäugig von aussen hereingetragen werden. Diese Ideen stammen von jemandem, den die Radikalität seiner Friedensbotschaft die Familie kostete – Mosab Hassan Yousef gilt in seiner Heimat als Verräter.
Seit den neuen kriegerischen Auseinandersetzungen um den Gazastreifen wird er vermehrt als Redner und Sachverständiger eingeladen, zum Beispiel in die UN. Sein Plädoyer am Schluss des Buchs ist: «Wahrheit und Vergebung sind die einzige Lösung für den Nahen Osten. Die Herausforderung – besonders zwischen Israelis und Palästinensern – besteht nicht darin, die Lösung zu finden. Die Herausforderung besteht darin, als Erster mutig genug zu sein, sie anzunehmen.» Das mag sich momentan naiv anhören, aber das ist bei den meisten Visionen so.
Was meinte Applegründer Steve Jobs dazu? «Menschen, die verrückt genug sind zu denken, sie könnten die Welt verändern, sind diejenigen, die es tatsächlich tun.»
Zum Buch:
«Sohn der Hamas: Mein Leben als Terrorist»
Zum Thema:
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