Wenn Pantomimen Bücher schreiben

Carlos Martinez – Der Poet der Stille

Manche Dinge sind so wichtig und so berührend, dass man sie am besten ohne Worte sagen kann. Genau das tut Carlos Martinez. Der spanische Pantomime mit dem verschmitzten Lächeln erreicht damit seit Jahrzehnten Menschenherzen. Jetzt bricht er sein Schweigen und erzählt kurze Episoden aus seinem Leben und Erleben: «Der Poet der Stille».
Carlos Martinez (Bild: www.carlosmartinez.es)
Buchcover «Der Poet der Stille»

Es gibt viele Menschen, die können reden, ohne etwas zu sagen. Und dann gibt es Pantomimen wie Carlos, die viel sagen können, ohne zu reden. In seinem Buch «Der Poet der Stille» erzählt Carlos Martinez (64) Geschichten aus seinem Leben. Es sind keine sensationellen – lauten – Geschichten; das würde gar nicht zu ihm passen. Es sind vielmehr kurze Begegnungen, freundliche Rückblicke und nachdenkliche Betrachtungen. Und bei praktisch jeder meint man, sein unvergleichliches Lächeln zu sehen – nicht nur, weil das Buch auch Fotos enthält.

Menschenrechte und Bibel

Man muss Carlos nicht auf der Bühne erlebt haben, um sein Buch geniessen zu können, aber es ist hilfreich. Gelegenheit dazu gibt es seit inzwischen 38 Jahren. Und auch heute noch fasziniert der Mime sein Publikum, wenn er den Schöpfergott spielt, der die Erde getöpfert hat. Nach Zugabe des Wassers steckt er seinen Finger hinein und leckt ihn ab. Da fehlt doch etwas … richtig: eine Prise Salz. Die gibt er lächelnd aus einem Salzstreuer hinzu, rührt das Ganze etwas um und jetzt ist es perfekt. Szenen wie diese machen sein Bühnenrepertoire aus, das von Alltagsgeschichten («Hand Made») über biblische Geschichten («Meine Bibel») bis hin zur aufrüttelnden Darstellung der Menschenrechte («Human Rights») reicht. Fast immer ist es ein leichtes Augenzwinkern, das sein Spiel begleitet.

Die zwei Träume

Wie wird man zu einem Pantomimen? Carlos brauchte dazu zwei Träume. «Es ist gut, zwei zu haben, dann ist die Wahrscheinlichkeit grösser, dass wenigstens einer davon in Erfüllung geht», schreibt er. Und diese Träume des kleinen Carlos hatten es in sich: Er wollte alle Sprachen der Welt sprechen und ausserdem Schauspieler werden. Familie und Freunde wollten ihm die unrealistischen Gedanken ausreden, doch er wurde tatsächlich Schauspieler. Und als er Jahre später auf einem internationalen Kongress vor Tausenden von Zuschauern aus aller Welt spielte, bemerkte er, wie einer nach dem anderen die Kopfhörer für die Simultanübersetzung abnahm – sie waren nicht mehr nötig. «Ich war ein Schauspieler, der alle Sprachen der Welt beherrschte. Und ich dachte an einen Satz im Buch der Bücher: 'Habe deine Lust am Herrn; der wird dir geben, was dein Herz wünscht!'»

Gottes Vogelscheuche

Carlos erzählt so wie er spielt: einfach und unprätentiös. Ob es die Hommage an die Füsse seiner Mutter und das Ohr seines Vaters ist oder ob er von dem Mädchen erzählt, dem man erklärt hat, dass ein Pantomime ein Mann ist, der nicht spricht. Und die seitdem für ihn gebetet hat. Immer wieder ergreift Carlos in seinem Buch das Wort, schmunzelt, ermutigt, berichtet und nimmt uns mit hinein in sein Leben. Neben dem Gespräch mit uns als Lesern ist es auch eine Zwiesprache mit Gott, zum Beispiel als er über das Gleichnis vom Sämann nachdenkt, das Jesus einmal erzählt hat. Carlos sucht seinen «Platz» darin und entscheidet sich schliesslich dafür, dass er eine Vogelscheuche sein kann. Warum? Das lesen Sie im Buch …

Als ich die 26 kurzen Geschichten in «Der Poet der Stille» gelesen hatte, habe ich das Buch mit einem leisen «Schade» zugeschlagen. Ich hätte einfach so weiterlesen können. Dieses stille und schöne Buch lohnt jede Minute, die man damit verbringt. Im So bin ich im Nachhinein froh, dass Carlos sich nicht an den Rat gehalten hat, den er als Witz im Buch erzählt: Was haben ein Pantomime und ein Mafiaboss gemeinsam? Richtig: Beide werden für ihr Schweigen bezahlt.

Zum Buch:
Carlos Martinez: Der Poet der Stille. Geschichten, die nur ein Pantomime erzählen kann

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Datum: 06.07.2020
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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