Auf dem Lutherweg

90-Jähriger pilgert aus Dankbarkeit

Der 90-jährige Johann Jotzo bereit zum Pilgern
Johann Jotzo hat viele Gründe, für die er Gott dankbar sein kann. Das spornt den 90-Jährigen immer wieder zu ungewöhnlichen Aktionen an. Gerade absolviert er den 400 Kilometer langen Lutherweg zu Fuß.

Es ist 7.30 Uhr in dem kleinen hessischen Dörfchen Nieder-Wöllstadt in der Wetterau. Die Gemeinde liegt mittig zwischen Hanau und Frankfurt/Main und damit an der Route des 400 Kilometer langen Lutherweges, auf der der Reformator 1521 von Worms auf die Wartburg nach Eisenach gegangen ist.

An diesem sonnigen Morgen machen sich zwei Wanderer auf den Weg zu ihrer aktuellen Etappe des Luther-Weges. Einer von ihnen ist Johann Jotzo: 90 Jahre alt – und kein bisschen müde. Für ihn und den 63-jährigen Uwe Redmer ist es die neunte von 23 Etappen des Lutherweges.

Entstanden ist die Idee für die Wanderung bei einem Gemeindefest 2022 in seiner Heimatstadt Mainz. Für unorthodoxe Ideen ist der 90-jährige Johann Jotzo bekannt. Die Geschichten, die er auf dem Pilgerweg erzählt, würden Bücher füllen. Dabei zieht sich ein roter Faden durch alle Höhen und Tiefen: Er weiss sich von Gott begleitet und ist dafür dankbar. Das treibt ihn an, sich auf den Weg zu machen.

CVJM hat sein Leben geprägt

In diesem Jahr hat er seinen 90. Geburtstag gefeiert. Seine Frau, mit der er bald 65 Jahre verheiratet ist, wurde 85. Das ergibt in der Summe 175 Jahre. Genauso alt wird der CVJM Westbund in diesem Jahr. Der Christliche Verein junger Menschen (CVJM) ist ein weiterer wichtiger Baustein seines bewegten Lebens.

Auf dem Weg durch die Wetterau erzählt Jotzo von seiner – zunächst – behüteten Kindheit auf einem Bauernhof in Ostpreussen. 1945 kommt es zum ersten einschneidenden Erlebnis. Die Familie muss mit einem Handwagen vor der russischen Armee nach Mecklenburg fliehen. Dort bewirtschaftet sein Vater ein Hofgut.

Johann Jotzo mit seinem Pilgerbuch

Doch auch im Arbeiter- und Bauernstaat bleiben die Jotzos nur für eine gewisse Zeit. Sieben Jahre später flieht die Familie 1952 in den Westen. Jotzo tritt in die Fussstapfen seines Vaters, beginnt eine Ausbildung zum Landarbeiter und wird im rheinland-pfälzischen Bad Kreuznach sesshaft. Vom Kirchenvorstand wird ihm irgendwann die Verantwortung für die Kinder- und Jugendarbeit übertragen, die er nach bestem Wissen und Gewissen macht.

Sportprogramm gegen die Lähmungen

Der Funke springt über, als Jotzo den CVJM-Bundessekretär Max Hamsch kennenlernt. Seine Art der christlichen Jugendarbeit überzeugt ihn – und er versucht es ihm gleichzutun. Er gründet Gruppen und Kreise für Kinder und Jugendliche, damit diese von Gott und Jesus Christus erfahren. An drei Orten, an denen er im Laufe seines Lebens wohnt, entsteht eine lebendige CVJM-Arbeit, in der er oft der Motor ist.

Wie zwischen seinen Geschichten baut Jotzo auch auf seiner Wanderung, die einen über die weiten Felder in Richtung Taunus blicken lässt, Pausen ein. Er solle dies tun, habe ihm seine Familie aufgetragen. Uwe Redmer achtet darauf, dass er dies auch einhält. Dann holt Jotzo seinen klappbaren Sitzstock heraus, trinkt etwas und schöpft neue Kraft. Nach jeder Pause braucht er etwas, um wieder in Tritt zu kommen, aber für einen 90-Jährigen findet er schnell wieder seinen Rhythmus.

Es ist aber nicht alles eitel Sonnenschein in der Biografie Jotzos. Das erste Kind der Eheleute kommt tot zur Welt. Jotzo selbst hat gesundheitliche Rückschläge zu verkraften. Dreimal – mit 26, 48 und 67 Jahren – hatte er schlimme Lähmungen im ganzen Körper. Das führt auch dazu, dass er auf Sport und Bewegung angewiesen ist.

Er trägt deswegen bei seiner Wanderung keinen Rucksack, sondern zieht einen kleinen Wagen hinter sich her, in dem Sonnenschirm, Trinkflasche und Medikamente verstaut sind. Und natürlich das Pilgerheft, an dem sie sich an bestimmten Standorten einen Stempel holen.

Den Koffer mit seinen Klamotten fährt ihm die Enkeltochter von Ort zu Ort. Sie begleitet dessen Reise auch über Instagram. Seine gesundheitliche Situation hat ihn vor 20 Jahren zu einer weiteren verrückten Aktion ermutigt. Zu seinem 70. Geburtstag ist er mit Inline-Skates in seine ostpreussische Heimat gerollt. 40 Tage hat er gebraucht – und schon damals für Schlagzeilen gesorgt.

Zuversicht weitergeben

Jotzo zeichnet ein eiserner Wille aus, eine gehörige Portion Humor – etliche seiner Geschichten beendet er mit einem verschmitzten Lächeln und das Vertrauen darauf, dass Gott ihn bewahrt und sein Leben geführt hat: «Ich bin Gott dankbar für diese Kraft und mein langes Leben. Immer wieder habe ich seinen Segen gespürt.»

Diese Zuversicht möchte Johann Jotzo möglichst vielen Kindern und Jugendlichen vermitteln. Um die Jugendarbeit zu fördern, hat er aus seinem Privatvermögen eine Stiftung gegründet, die seinen Namen trägt. Die Satzung sieht vor, dass mit dem Geld die Jugendarbeit des CVJM im Dekanat Mainz und im CVJM-Kreisverband Rheinhessen gefördert werden soll.

Er möchte junge Menschen positiv prägen, sie beteiligen und sie dazu ermutigen, sich mit dem christlichen Glauben zu beschäftigen. Ihn hat vor allem die Bibelstelle geprägt, dass «denen, die Gott dienen, alle Dinge zum Besten» werden. Ein weiteres Credo des Wanderers ist es, sich für seinen Stadtteil Mainz-Hechtsheim zu engagieren und dort dem biblischen Auftrag zu folgen: «Suchet der Stadt Bestes!»

Wichtiger Dienst an jungen Menschen

Immer noch nimmt das Ehrenamt einen grossen Raum im Leben des 90-Jährigen ein. Fünf bis sechs Stunden in der Woche ist er nach wie vor aktiv: in der Kirchengemeinde, in einem Verein, der sich um die Sauberkeit öffentlicher Flächen im Stadtteil kümmert, oder im evangelischen Arbeitskreis der CDU. Die Ämter in seiner Stiftung habe er jetzt aber doch in jüngere Hände übergeben.

Mit seiner Wanderung möchte er Unterstützer für diesen «wichtigen Dienst an jungen Menschen» finden. Mit Gottes Hilfe habe er es vom einfachen Landarbeiter bis zum Ministerialbeamten in Mainz geschafft. Gott habe ihm immer wieder Menschen in den Weg gestellt, die ihm geholfen und gute Ratschläge gegeben haben: «Ich habe eine wunderbare Frau und vier gesunde Kinder, acht Enkel und zwei Urenkel. Wenn das kein Grund ist, dankbar zu sein!»

«Mit meiner Pilgerwanderung möchte ich diese Dankbarkeit zum Ausdruck bringen.» Und was macht Johann Jotzo, wenn er nicht ehrenamtlich aktiv ist oder auf dem Luther-Weg pilgert. Dann interessiert er sich für literarische Balladen – und beginnt auf der Strecke zum Ziel nach Friedberg-Dorheim Schillers Bürgschaft auswendig zu rezitieren.

«Es ist interessant, wie viel biblische Botschaft auch in diesen Balladen steckt», findet er auch hier wieder einen Vergleich zu dem, was sein Leben prägt – und grinst verschmitzt, als er das letzte Stück der 14 Kilometer langen Tagesetappe in Angriff nimmt, die er sehr zügig absolviert hat. Respekt hat Jotzo vor den bis zu 25 Kilometer langen Etappen, die in den nächsten Tagen anstehen. Aber er ist auch zuversichtlich, dass am 6. Juli ein 90-Jähriger den Lutherweg von Worms bis Eisenach geschafft hat.

Dieser Artikel erschien zuerst im PRO Medienmagazin

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Datum: 29.06.2023
Autor: Johannes Blöcher-Weil
Quelle: Pro-Medienmagazin.de

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