Zu Fuss auf den Spuren von John Wesley
Irgendwann begann sich Jörg Niederer mit dem Thema des Pilgerns zu beschäftigen. Zugleich war er in seiner Freizeit immer öfter zu Fuss unterwegs. Dann begann in ihm eine Idee zu reifen. Nach acht Jahren als Distriktsvorsteher der EMK Schweiz wird er ab 1. Oktober wieder als Pfarrer tätig sein. Dazwischen gewährt ihm sein Arbeitgeber eine dreimonatige Auszeit. Diese nutzt er, um sein Pilger-Projekt zu realisieren. Traditionsgemäss avisieren Pilger das Grab eines Heiligenoder eines Kirchenvaters, der in ihrem Verständnis eine wichtige Bedeutung hat. Darum lag es für den Methodisten Niederer auf der Hand, sich zum Grab Wesleys aufzumachen.
Am 1. Juli schnallte er den 15 Kilo schweren Rucksack auf den Rücken. Die erste Etappe, die ihn nach Schaffhausen an seinen ersten Wirkungsort als Pfarr-Praktikant führte, nahm er zusammen mit seiner Frau Sabine und seinem jüngsten Sohn unter die Füsse.
Die vier Quellen
Thematisch folgt Jörg Niederer den Spuren des Methodismus als kirchliche Reformbewegung. Dazu gehört auch die vertiefte Auseinandersetzung mit der «Quadrilateral-Methodik» Wesleys. Diese theologische Art des Reflektierens interpretiert das Wort Gottes auf Grund von vier Quellen: Schrift, Tradition, Vernunft und Erfahrung. Die gewonnenen Erkenntnisse, kombiniert mit autobiografischen Elementen, beabsichtigt der Pfarrer in einem Buch niederzuschreiben.
Dem Glauben Zeit geben
Nach 14 Tagen stellt Jörg Niederer ernüchtert fest, dass beim Pilgern gar nicht so viel Musse für ausgedehnte Studien bleibt. Genauso wie im Alltag bleibe es eine Herausforderung, sich die Zeit zu nehmen für das Ausrichten auf Gott: «Man hätte auch ohne Andachten und Lesungen den ganzen Tag genug zu tun.» Trotzdem möchte der Pilger dem Glauben täglich Zeit geben, wie er sagt. Das sei etwas, worauf schon John Wesley viel Wert gelegt habe. Dieser empfahl, den Tag nach den Begegnungen mit Gott einzuteilen.
Herausfordernde Grenzerfahrung
Das Alleinsein fordert den Endfünfziger heraus. Seine Frau und er seien in 33 Ehejahren nie länger als eineinhalb Wochen getrennt gewesen. Die Achtung Niederers vor Wesley und den frühen Methodisten ist darum in den ersten zwei Wochen seines Pilgerns gestiegen. «Als Reiseprediger waren sie über weite Strecken allein unterwegs. Ich bewundere ihren Mut. Sie mussten ja damit rechnen, dass ihre Botschaft auf Widerstand und offene Feindschaft stiess.»
Das Zusammengehörigkeitsgefühl sei etwas vom Bedeutendsten, was er bisher erlebt habe, resümiert der Pfarrer. Sechs Mal übernachtete er bisher bei Menschen aus der EMK, die er die meisten zuvor nicht kannte. «Unterwegs hat mir ein wildfremder Katholik richtig Mut gemacht, den Weg weiterzugehen.» Solche Ermutigungen braucht er. Die Pilgerreise ist körperlich und mental eine Grenzerfahrung. Der Weg nach London ist weit. Und wenn man an Jörg Niederers Blasen denkt, die ihn nach rund 250 Kilometern plagen, dann ist er sehr weit.
Fakten zur Pilgerreise
Der Ausgangspunkt der Reise ist Frauenfeld, nach 48 Marschtagen wird Pfarrer Jörg Niederer London erreichen. Die geplanten Etappen sind im Durchschnitt 25 km lang, insgesamt sind es 1090 Kilometer oder rund eineinhalb Millionen Schritte. Diese Zahl ist deshalb wichtig, weil Niederer sich zum Ziel gesetzt hat, durch Sponsoring jeden seiner Schritte mit einem Rappen zu hinterlegen. Er fand 120 Sponsoren und damit «verdient» er 1,3 Rappen pro Schritt, das ergibt eine Summe von nahezu 20'000 Franken. Das Geld, das er mit seinem Pilgern erläuft, kommt der Migrationsarbeit der EMK «Connexio» zugute. Auf seinem Weg durch Frankreich und Deutschland sucht er nach Spuren des Methodismus und wird unter anderem fünf Gemeinden der EMK besuchen. Sein Ziel ist es, pünktlich zum Start der Konferenz des Europäischen Rats der Methodistenkirche am 12. September in London einzutreffen. Jörg Niederer ist 58 Jahre alt, verheiratet und Vater von drei erwachsenen Söhnen. Die Pilgerreise kann hier mitverfolgt werden.
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Datum: 20.07.2017
Autor: Helena Gysin
Quelle: ideaSpektrum Schweiz