Freund oder Feind?

«Keins von beiden»

Schwert
Aus atheistischen Kreisen ist längst zu hören: Gott ist ein gewalttätiger Tyrann. Wer dieser Pauschalkritik nicht zustimmt, schluckt beim Buch Josua leer. Massenweise Menschen und Tiere werden vernichtet. Das soll alles Gottes Wille gewesen sein?

Solche Gewaltorgien aus Liturgie und Predigt zu verbannen, wäre eine naheliegende Lösung, um sie loszuwerden. Eine derartige Ignoranz ist mir aber zu einfach. Ich will mich auch unbequemen Bibeltexten stellen, sogar dann, wenn ich nicht immer Interpretationen finde, mit denen ich gut leben und glauben kann. Bei näherem Hinsehen fällt aber auf: Manche Passagen werfen oft ein überraschendes Licht auf die teils düsteren Erzählungen.

Der Mann mit dem Schwert

So trifft Josua kurz vor der legendären Eroberung Jerichos auf einen Mann mit gezücktem Schwert. Mutig geht Josua auf den bewaffneten Mann zu und fragt ihn: «Freund oder Feind?» Der Fremde antwortet: «Keins von beiden. Ich bin der Befehlshaber über das Heer des Herrn.» Seltsam. Da trifft Josua auf einen Krieger Jahwes und erhält auf seine Frage nach Freund oder Feind die Antwort: «Keins von beiden.» Wie bitte? Es war doch Gott selbst, der zu Josua sprach: «Mach dich also auf den Weg […] in das Land, das ich ihnen, den Israeliten, geben werde. Jeden Ort, den euer Fuss betreten wird, gebe ich euch.»

Dank dieser Verheissung ist Josua überhaupt erst losgezogen. Es wäre doch logisch, wenn dieser seltsame Krieger nun sagen würde: «Keine Angst, Josua. Ich bin und kämpfe an deiner Seite.» Mit so einer göttlichen Ermutigung könnte Josua zuversichtlicher Richtung Jericho ziehen. Stattdessen: «Keins von beiden»!  

Gott lässt sich nicht vereinnahmen

Gott steht auf keiner Seite. Auch nicht auf der Seite Josuas. Diese Antwort steht am Anfang von allem, was nachher kommt. Wenn Gott sagt: «Keins von beiden», dann ist auch nicht von vornherein klar, wer Gottes Willen tut und wer nicht. Dann müssen wir immer wieder genau hinschauen. Josua kann nicht damit rechnen, Gott auf seiner Seite zu haben, egal, was er tut. Gott durchbricht das klassische Freund-Feind-Denken.

Der weitere Verlauf der alttestamentlichen Geschichte zeigt: Israel hat dies zuweilen vergessen. Der Gedanke «Gott ist mit uns» hat sie immer wieder dazu verleitet, Dinge zu tun, die nicht Gottes Willen entsprachen. Das ist eine traurige Grundmelodie in den Büchern der Propheten. Es scheint mir daher sehr wahrscheinlich, dass auch bei der sogenannten Landnahme nicht immer das getan wird, was Gott will. Auch hier können Menschen Gott falsch verstanden haben. Vor allem dann, wenn sie meinten, im Namen Gottes alles niedermetzeln zu müssen. 

Wenn Gott vereinnahmt wird

Diese kurze Begegnung vor den Toren Jerichos ist ein Baustein für die Deutung, wenn wir über den gewalttätigen Gott nachdenken. Denn Menschen nehmen Gott bis heute immer wieder für sich und seine Ziele in Anspruch. Mit teils verheerenden Folgen. «Gott mit uns» stand beispielsweise auf der Gürtelschnalle der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. Was für eine ungeheure Vereinnahmung Gottes für die eigenen Ziele!

Auf den Schlachtfeldern dieser Welt wurde und wird Gott immer wieder in dieser Weise missbraucht. Da kämpfen zuweilen Armeen gegeneinander, die beide glauben, Gott auf ihrer Seite zu haben. Gerade Kriege leben von einem vereinfachten «Freund-Feind-Denken». Wir beobachten dies auch in unseren Tagen. Entweder man findet alles gut, was die Ukraine fordert und tut – oder man unterstützt Putin in seinem Angriffskrieg. Die Haltung «Keins von beiden» hat es da schwer.

Es muss ja längst nicht immer Krieg sein, um in diesem «Freund-Feind-Denken» zu funktionieren. Viele Konflikte in unserem Leben folgen exakt derselben Logik: Wer steht auf welcher Seite? Freund oder Feind? Auch Kirchen und Gemeinden sind davon nicht ausgenommen. Pazifist oder nicht? Ehe für alle oder nicht? Klimaschutz oder nicht? Und schnell glauben wir, Gott auf der Seite unserer Position zu haben – und entscheiden uns damit gegen Menschen, die anders glauben und leben.

Auf welcher Seite stehe ich?

In unserer Gesellschaft – und davon sind Kirchen nicht ausgenommen – wird zunehmend über eine Polarisierung geklagt. Entweder-Oder. Wenn der Geduldsfaden überstrapaziert ist, wird der verbale Zweihänder schnell ausgepackt.

Einander zuhören, verstehen wollen und auch Unterschiede ertragen, fällt schwer. Schnell wird die Frage gestellt: Freund oder Feind? «Keins von beiden», bekommt Josua von Gott zu hören. Für ihn ändert sich damit die Situation grundlegend. «Zieh deine Schuhe aus, denn du stehst auf heiligem Boden!», spricht Gott zu Josua. Für einen, der ein Land einnehmen soll, ein ungewöhnlicher Befehl. Schuhe ausziehen – normalerweise werden Krieger aufgefordert, ihre Kampfstiefel zu schnüren. Wer dagegen die Schuhe auszieht, rennt nicht davon und rennt nicht auf andere los. Schuhe ausziehen – das bedeutet: innehalten. Warten. Hinhören.

Josua fällt auf seine Knie und sagt: «Ich bin dein Diener! Was befiehlst du mir, Herr?» Die Initiative liegt nicht mehr bei ihm, sondern bei Gott. Es kommt zu einem Rollenwechsel. Anstatt zu fragen, auf welcher Seite Gott steht, stellt sich für Josua die Frage: Wo stehst du eigentlich? Welche Ziele verfolgst du? Auf wen oder was hörst du?

Die schwierige Frage nach dem gewalttätigen Gott ist damit nicht geklärt. Aber bevor Josua nach Jericho zieht, soll er wissen: Gott ist weder Freund noch Feind. Und es scheint mir gut, wenn auch wir dies hören. Das bedeutet für mich nicht, keine eigene Meinung zu haben und diese auch engagiert zu vertreten. Auch kontroverse Diskussionen über strittige Themen sind wichtig. Und selbst Konflikte sind nicht um jeden Preis zu vermeiden. Wenn wir jedoch aufhören zu glauben, dass in unseren Meinungsverschiedenheiten und Konflikten Gott per se auf unserer Seite steht, würde uns dies möglicherweise von einem unheilvollen «Freund oder Feind-Denken» bewahren, bei dem am Ende alle verlieren.

Dieser Artikel erschien zuerst beim Forum Integriertes Christsein

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Datum: 11.02.2024
Autor: Lukas Amstutz
Quelle: Forum Integriertes Christsein

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