Kapitel 1 »Im Vertrauen auf den unsichtbaren Gott leben«

Leiden und Dienst im Leben John Bunyans


»Sei gesegnet, Gefängnis, dass du in meinem Leben gewesen bist!«

Nach zwölf Jahren wurde John Bunyan 1672 aus dem Gefängnis von Bedford, ungefähr fünfzig Meilen nordwestlich von London, entlassen. So wie andere Heilige zuvor und danach gelitten haben, war für Bunyan die Gefängniszeit sowohl eine schmerzliche Erfahrung als auch fruchtbares Geschenk. Er hätte Alexander Solschenizyns Worte 300 Jahre später verstanden, der, wie Bunyan, seine Gefängniszeit in ein weltveränderndes explosives Kunstwerk verwandelte. Nach seiner Gefangenschaft im russischen Gulag (Zwangsarbeitslager) Josef Stalins schrieb Solschenizyn:

Es wurde mir gegeben, auf meinem gebeugten, fast gebrochenen Rücken aus den Jahren im Gefängnis diese Erfahrung mitzunehmen: wie der Mensch böse und wie er gut wird. Berauscht durch jugendlichen Erfolg, wähnte ich mich unfehlbar und war daher grausam. In übergrosser Machtfülle wurde ich zum Mörder und Gewalttäter. Trotzdem war ich auch in den bösesten Augenblicken versehen mit wohlgefügten Argumenten, überzeugt, das Rechte zu tun. Auf dem faulen Stroh des Gefängnisses fühlte ich die erste Regung des Guten in mir. Allmählich wurde mir offenbar, dass die Grenzlinie zwischen Gut und Böse nicht zwischen den Staaten, den Klassen, den Parteien verläuft – sie geht durch jedes Menschenherz hindurch. … Darum sage ich: »Sei gesegnet, Gefängnis!« Ich habe genug im Gefängnis gesessen, ich habe dort meine Seele grossgezogen. Ich wiederhole unbeirrt: »Sei gesegnet, Gefängnis, dass du in meinem Leben gewesen bist!«1

Wie kann ein Mensch Gefangenschaft als Segen bezeichnen? Bunyans Leben und Arbeit gibt eine Antwort. Kurz vor seiner Entlassung (so scheint es2), im Alter von 44 Jahren, aktualisierte Bunyan seine geistliche Autobiographie Grace Abounding to the Chief of Sinners (»Überreiche Gnade für der Sünder Grössesten). Er schaute auf ein zwölf Jahre langes Leiden zurück und schrieb, wie Gott ihm im Gefängnis von Bedford nicht nur Kraft zum Überleben gab, sondern dass es ihm sogar gut ging. Einer seiner Kommentare ist der Titel dieses Kapitels.

Er zitiert aus dem Neuen Testament, wo der Apostel Paulus sagt: »Wir selbst aber hatten in uns selbst das Urteil des Todes erhalten, damit wir nicht auf uns selbst vertrauen, sondern auf Gott, der die Toten auferweckt« (2. Korinther 1,9). Dann sagt er:

Mir wurde gezeigt, dass der beste Weg im Leiden darin besteht, zuerst über allen Dingen dieses Lebens das Todesurteil zu fällen, sogar auch mich selbst, meine Frau, meine Kinder, meine Gesundheit, die Freuden meines Lebens, alles für mich und mich selbst als für sie gestorben anzusehen. Das andere war, im Vertrauen auf den unsichtbaren Gott zu leben, wie Paulus es an anderer Stelle nannte. Um nicht schwach zu werden, muss man nicht »die sichtbaren Dinge sehen, sondern auf das Unsichtbare schauen; da wir nicht das Sichtbare anschauen, sondern das Unsichtbare; denn das Sichtbare ist zeitlich, das Unsichtbare aber ewig«.3

Ich habe in Bunyans Schriften keinen Ausdruck gefunden, der das Geheimnis seines Lebens besser beschreibt als diese Aussage: »im Vertrauen auf den unsichtbaren Gott leben«. Um richtig zu leiden, so lernte er, müssen wir nicht nur der Sünde sterben, sondern uns auch für die hoch geschätzten Dinge, wie Familie und Freiheit, für gestorben betrachten. Im Gefängnis bekannte er in Bezug auf seine Frau und seine Kinder: »Dieses grosse Geschenk liebe ich ein wenig zu sehr.«4 Daher müssen wir lernen, »im Vertrauen auf den unsichtbaren Gott zu leben«, nicht nur, weil Gott über den sündigen, sondern auch, weil er über den heiligen Freuden steht. Alle weltlichen Dinge sollen für uns gestorben sein – und wir der Welt.

Das lernte er im Gefängnis, und er lernte es von Paulus: »Mir aber sei es fern, mich zu rühmen als nur des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus, durch das mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt« (Galater 6,14). Der Welt gekreuzigt zu sein, war die kostspielige Folge des Lebens für Gott. Die sichtbare Welt starb für Bunyan. Er vertraute dem unsichtbaren Gott. Vom Zeitpunkt seiner Bekehrung bis zu seinem Tod im Alter von sechzig Jahren war dies Bunyans stetig wachsende Leidenschaft.

Fortsetzung: Standhaft im Leid

Datum: 18.03.2008
Autor: John Piper
Quelle: Standhaft im Leiden

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