Gottesdienst – alter Zopf oder frisches Brot?
Wann war es das letzte Mal, dass Gott in
einem Gottesdienst etwas in dir bewegt hat?
Am vorletzten Sonntag hat Sabine Rüfenacht
über Grosszügigkeit gesprochen. Sie hat von einem Experiment erzählt, bei dem man
Menschen mit tausend Franken beschenkte und dann untersucht wurde, wie sie
damit umgehen. Resultat: Sie gingen grosszügiger damit um als mit dem Geld, das
sie selber verdient hatten. Das hat mich bewegt. Weil Gott mich grosszügig mit
Geld und materiellen Gütern beschenkt hat, darf ich grosszügiger sein.
Was geht denn verloren, wenn ich am
Sonntag statt zur Kirche in die Alpen fahre?
Ganz viel. Wenn ich am Sonntag nicht in der
Kirche bin, dann fehlen mir die Stimmen und Gedanken all der Menschen, durch
die mich Gott ermutigen, berühren, motivieren, ausrichten und Orientierung
geben will. Und den anderen fehlt meine Stimme, durch die Gott zu ihnen sprechen
will. Klar: Wenn ich in den Alpen
eine gute Zeit verbringe, ist das auch wertvoll. Nur kann ich dafür einen
anderen Zeitpunkt wählen.
Und warum sollen wir nicht definitiv auf
den Pyjama-Gottesdienste am Computer umstellen? Das ist doch viel praktischer.
Online-Gottesdienste sind eine super Sache
für alle, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht vor Ort sein können.
Auch für Personen, die unsere Gottesdienste nicht besuchen würden, ist es
genial. Aber die persönlichen Begegnungen bleiben so aus, für Erwachsene und
Kinder. Die Betroffenheit vor dem Bildschirm ist meist kleiner, die eigene
Beteiligung geringer, die Konzentration gefährdet, das Wegklicken näher. Fazit:
Der Aufwand, am realen Gottesdienst teilzunehmen, ist grösser, aber er lohnt
sich.
Zwei Fragen zum Wording: Warum reden wir
bei unseren sonntäglichen Zusammenkünften von Gottesdiensten? Wer dient da wem
womit?
Das Wort «Gottesdienst»
wurde offenbar von Luther geprägt, als Übersetzung des griechischen Wortes «leiturgeia»,
das im religiösen Kontext den kultischen Dienst an Gott meint. Luther verstand
unter Gottesdienst ein kommunikatives Geschehen zwischen Gott und Mensch. Gott
dient dem Menschen durch sein Reden und seine Zeichen (Taufe und Abendmahl),
der Mensch dient Gott durch seine Antwort in Lobpreis und Fürbitte. Das finde
ich überzeugend.
Statt einfach von Durchführen oder
Abhalten reden wir bei Gottesdiensten oft von Feiern. Was gibt's denn da zu
feiern?
Wir feiern nicht den Gottesdienst, sondern
Gott und sein Wirken an uns. Da gibt es viel zu feiern: Gottes Herrlichkeit,
seine Rettung, seine Liebe, seine Hingabe in Jesus, sein Wort, seine verändernde
Kraft. Wir feiern ein Fest, weil wir Beschenkte sind. Aber es geht nicht nur
ums Feiern, sondern auch um meine Ausrüstung. Ich werde ermutigt und befähigt,
Gott im Alltag zu dienen und ihn zu repräsentieren.
Als Präsident bist du in vielen
verschiedenen Gottesdiensten zu Gast. So übers Ganze hinweg: Wo sind wir als
Bewegung auf einem gutem Weg?
Ich empfinde, dass das Bewusstsein für die
Bedeutung des Gottesdienstes vorhanden ist. Viele investieren sich, um mit dem
Gottesdienst ein gutes Umfeld zu bieten, wo Gott wirkt und die Teilnehmer
aufgebaut und motiviert werden. Auch der Gedanke, dass der Gottesdienst wie ein
Schaufenster der Gemeinde ist, wo auch Gäste willkommen sind und berührt
werden, ist an vielen Orten angekommen. Eine besondere Stärke unserer
Gottesdienste sehe ich in der Zugänglichkeit und Verständlichkeit. Echtheit und
Natürlichkeit sind oft vorhanden, worauf immer mehr Leute stark Wert legen –
und dies zu Recht! Wahrheit und Wahrhaftigkeit gehören zusammen.
Und wo im Gottesdienst machen sich bei
dir Fluchtgedanken breit?
Ich bin grundsätzlich kein (kritischer)
Gottesdienstbesucher, sondern ein Beteiligter, der auf Empfang geschaltet hat.
Deshalb nehme ich eigentlich immer etwas mit. Dennoch kommen mir drei Dinge in
den Sinn, die mir Mühe machen. Erstens: Wenn Menschen im Zentrum stehen und
nicht Gott bzw. Jesus und sein Reich. Die Personen auf der Bühne tragen hier
eine grosse Mitverantwortung. Zweitens: Wenn ein Gottesdienst vor allem «konsumiert»
wird und die Beteiligung klein ist. Das ist dann stärker die Verantwortung der
Teilnehmer, aber nicht nur. Und drittens: Wenn die Anwesenden nur die
individuelle Begegnung mit Gott suchen und das Bewusstsein für die Gemeinschaft
fehlt, beispielsweise in der Anbetung.
Gibt's bezüglich der Form unserer
Gottesdienste etwas, wo wir uns von unseren Gewohnheiten lösen sollten?
Die Überzeugung, dass der Gottesdienst
nicht mit dem Schlusssegen aufhört, sondern in der anschliessenden Gemeinschaft
weitergeht, sollte weiter gestärkt werden. Wir nennen es bei uns in Bern den «zweiten
Teil» des Gottesdienstes. Es gehört dann dazu, auf Gäste zuzugehen, einander zu
ermutigen, füreinander zu beten.
Was den «ersten Teil» des Gottesdienstes betrifft, kennen einige Gemeinden tendenziell nur zwei Elemente: die Anbetungszeit und die Predigt. Da ist eine grössere Vielfalt möglich: Erlebnisberichte, prophetische Impulse, Aufrufe mit Segnungs- und Gebetszeiten, «interaktive» Abendmahlsfeiern usw. Das darf und soll durchaus geführt sein und muss nicht im Fremdschämen enden. Da ist schon viel Positives in Gang gekommen.
Das Interview erschien zuerst im «Online - das Bewegungsmagazin».
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Datum: 23.09.2020
Autor: Christian Ringli
Quelle: BewegungPlus Online