Wenn es nicht mehr ohne geht...

Livenet-Talk über den Kampf mit der Sucht

«Ich kann jederzeit aufhören, aber ich will nicht.» Das ist leichter gesagt als getan. Eine Sucht zu überwinden, ist nämlich oft gar nicht so einfach. Wie kann man denn frei werden? Und wie sollen Angehörige von Betroffenen handeln? Darüber unterhielt sich Livenet-Moderatorin Annina Morel mit dem Psychologen Mike Sigrist, der sich seit Jahren im Beratungsteam vom Blauen Kreuz engagiert.
Livenet-Redaktorin Annina Morel im Gespräch mit Mike Sigrist vom Blauen Kreuz.
Mike Sigrist zu Gast im Livenet-Talk.

Livenet: Es gibt sehr viele verschiedene Suchtmittel und Arten von Abhängigkeiten. Wann kann man von einer Sucht sprechen?
Mike Sigrist:
Die einfachste Definition ist: Wenn es nicht mehr ohne geht. Die wissenschaftliche Definition würde eher in diese Richtung gehen: Es ist quasi ein Zwang, zu konsumieren oder ein Verhalten zu zeigen. Man macht weiter, obwohl es schon negative Konsequenzen gibt. Es kommt zu Entzugserscheinungen, wenn man aufhören möchte. Und man vernachlässigt andere Hobbys und Interessen.

Was ist das Gefährliche an einer Sucht?
Aus meiner Sicht ist Sucht grundsätzlich einfach zerstörerisch und negativ. Es betrifft den ganzen Menschen: ihn direkt und das Umfeld, die Arbeit, die Freizeit, die Finanzen. Und von daher würde ich sagen, weil sie so viele Themen berührt, ist Sucht so verhängnisvoll.

Kann man eine Sucht überhaupt vollständig überwinden?
Das ist eine gute Frage, über die man viel diskutieren kann. Ich kann einfach meine Meinung vertreten. Es wird immer ein Teil von diesem Menschen und von seiner Geschichte sein. Die Frage ist, ob es ein aktiver Teil ist – der ihn heute noch beeinflusst – oder ob es mehr ein Teil von der Biografie ist, der abgeschlossen ist. Ich denke, es kann es sein, dass es nicht immer an erster Stelle stehen muss. Aber es wird – im Beispiel von Alkohol – nie mehr den Weg zurück zu einem normalen oder unbeschwerten Konsum geben.

Was kann man konkret machen, um eine Sucht zu bekämpfen?
Das Wichtigste ist – worauf alle in der Beratung angewiesen sind –, dass der Betroffene selber etwas verändern möchte. Diese Einstellung kann man nachher unterstützen. In der Schweiz haben wir ein gutes Netz und sehr viele Möglichkeiten. Aber man muss wollen. Das können wir als Berater nicht machen. Und im Idealfall soll man sich professionelle Hilfe holen. Das heisst nicht, dass es nur dann geht. Häufiger ist es aber einfacher, mit jemandem zu reden, den man sonst nicht kennt.

Was empfehlen sie den Angehörigen einer süchtigen Person?
Wir machen den Angehörigen Mut, auch sehr gut zu sich selbst zu schauen. Und dann versucht man so gut wie möglich den Betroffenen zu motivieren, auch zur Beratung zu kommen. Wenn das gelingt, sehr schön. Wenn nicht, geht es darum, die Angehörigen zu stärken. Ganz brutal ausgedrückt: Wenn sich jemand mit Sucht kaputt machen will, ist das in der Schweiz nicht verboten. Aber ich weigere mich zu akzeptieren, dass das Umfeld auch darunter kaputt gehen muss. Hier geht es um Schadensbegrenzung und darum, Kinder und Angehörige zu schützen.

Weiter unterhielten sich die beiden über Ursachen des Suchtverhaltens, den Wert der Freiheit und darüber, welche Rolle der christliche Glaube in dieser Thematik spielen kann. Hier geht es zum vollständigen Video-Interview:

Zum Thema:
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Datum: 11.12.2019
Autor: Annina Morel
Quelle: Livenet

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