«Bitte mehr Gelassenheit, Herr Stamm!»
Lieber Kollege Stamm,
ich teile Ihre Empörung über die Entgleisungen des kalifornischen Predigers Roger Jimenez. Sie sind voll daneben und haben mit christlichen Haltungen überhaupt nichts gemein. Der weltweite Aufschrei dagegen ist nachvollziehbar. Auch die christliche Welt distanziert sich davon. Dass die Tragödie von Orlando ganz anders thematisiert wurde, dokumentiert nicht zuletzt der Bericht dazu auf Livenet.
Die Folgerungen aber, die Sie aus den Äusserungen des kalifornischen Sektierers ziehen, sind ebenso daneben. «Der Glaube macht Menschen zu emotionalen Eunuchen», schreiben Sie in Ihrem Blog, ja zu «emotionalen Krüppeln». Für Sie ist klar, dass der Massenmord von Orlando für Mitglieder von Freikirchen die Frage aufwerfen muss, ob es sich da um eine Strafe Gottes für sexuell abnormes Verhalten handle. Sie zitieren dann noch die üblichen Clichés, die gegen Freikirchen ins Feld geführt werden wie die Ablehnung der Evolution und der Homosexualität. Schliesslich beziehen Sie in Ihren Rundumschlag noch die Bibel ein, die 2000 Jahre eine «Ursache für unzählige Konflikte» sei.
Realitäten ausgeblendet?
Ich möchte nun nicht zu einer Verteidigungsrede zu diesen Angriffen ausholen. Sie sind ein Pamphlet und drücken ihre vielfach geäusserte Abneigung gegen Religion in allen Formen aus. Dennoch, so meine ich, dürfen Christen erwarten, dass sie nicht pauschal wegen den Äusserungen eines frommen Spinners diskreditiert werden. Wenn Äusserungen in dieser Form daher kommen, sagen sie ohnehin oft mehr über den Absender als über die Kritisierten aus. Besonnene Leute fragen sich dann: Hat da einer wieder mal einen Anlass gefunden, um emotional Dampf abzulassen und gegen die Frommen zu Felde zu ziehen? Oder ist da einer schon dermassen ideologisch vorbelastet, dass er die Realitäten ausblendet?
Christen als Freiwild?
Sie wissen natürlich, dass man Christen und insbesondere Freikirchen ungestraft mobben kann, ohne zu riskieren, dass dann einer mit dem Ruf «Gott ist gross» und einer Kalaschnikov Ihr Büro stürmt. Auch wenn ein religionskritischer deutscher Kollege sich zur Behauptung verstieg, der Mörder hätte auch ein Evangelikaler sein können. Sie hätten im Blick auf Jimenez auch die Schwarzen pauschal diskreditieren können, aber damit würden Sie gegen die Anti-Rassismus-Norm verstossen. Oder die Muslime, denen der Täter angehörte. Evangelikale oder Freikirchler dürfen Sie mobben, ohne das Gesetz oder gar den Tod fürchten zu müssen.
Unterstützung durch die Anti-Rassismus-Behörde
Wir haben uns bei der Fachstelle für Rassismusbekämpfung (FRB) erkundigt. Sie schreibt: «Tatsächlich befasst sich die FRB auch mit der Diskriminierung von Menschen aufgrund der Religionszugehörigkeit. Kritische Äusserungen gegenüber einer Religion als solche sind dagegen nicht verboten. Im angefügten Artikel werden Äusserungen einzelner Exponenten von Freikirchen scharf kritisiert, zu recht, denn diese verstossen klar gegen die Menschenrechte. Diese Kritik wird etwas leichtfertig auf Freikirchen als solche ausgedehnt, doch wird damit keine konkrete Person angegriffen, noch muss sich ein Mitglied der Freikirchen, die die Haltung der Kritisierten nicht teilt, davon betroffen fühlen. Schliesslich greift der Autor, als radikaler Freidenker, Religion überhaupt an. Auch das ist bei uns «gottseidank» möglich.
Die hoch gehaltene Meinungsäusserungsfreiheit schützt die Äusserungen in Sacramento und Ihre Blogs. Sie bleiben juristisch folgenlos, aber ob sie auch sonst gesellschaftlich folgenlos bleiben? Aus der Bibel kommt das Sprichwort «Wer Wind sät, wird Sturm ernten.»
Zur Webseite:
Die Eidgenössische Fachstelle gegen Rassismus
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Datum: 29.06.2016
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet