«Ich habe ihm einen christlichen Segen beigebracht»
Herr Heinrich, vor einigen Tagen konnten Sie den Dalai Lama zum Gespräch treffen. Wie kam es dazu?
Frank
Heinrich: Wir widmen uns als Menschenrechtsausschuss und
Bundestagsfraktion seit einem halben Jahr dem Thema Religionsfreiheit in
China. Wir beschäftigen uns thematisch mit den Christen im Land, aber
auch mit anderen religiösen Minderheiten wie den Uiguren oder den
Tibetern, die ja keine Autonomie geniessen. Normalerweise besuchen wir
auch die entsprechenden Länder, aber China hat uns die Einreise
verweigert. Deshalb haben wir das Nachbarland Indien besucht, haben dort
Abgeordnete und chinesische Dissidenten getroffen und politische
Gespräche geführt. In Indien lebt auch der Dalai Lama im Exil – und
eines Morgens während unserer Reise kontaktierte er uns und bat um ein
Treffen zum Austausch. Er hatte wohl aus der Zeitung erfahren, dass wir
im Land sind.
Der Dalai Lama
fordert mehr Autonomie für Tibet von der chinesischen Zentralregierung.
Auch viele Christen leiden unter dem Regime in Peking. Kämpfen
Buddhisten und Christen einen gemeinsamen Kampf?
Der
Dalai Lama hat sich in unserem Gespräch mit politischen Statements
zurückgehalten. Er machte deutlich, dass er keine Unabhängigkeit für
Tibet fordert, wohl aber mehr Freiheit innerhalb des Landes. Er selbst
sieht sich eher als praktizierender tibetanischer Buddhist innerhalb
Indiens und setzt sich dort für die Freiheit der Religionen ein – und
zwar aller Religionen: Christen, Muslime oder Sikh sollen seiner Meinung
nach die Freiheit haben, ihren Glauben zu leben, egal ob in China,
Indien oder Tibet.
Sie selbst
sind Christ – haben bei dem Gespräch Glaubensdifferenzen eine Rolle
gespielt oder konnten Sie Gemeinsamkeiten entdecken?
Ich
schätze Begegnungen mit Andersglaubenden. Gerade auch den kritischen
Dialog. Ich habe mich darüber gefreut, dass wir uns über unsere
Sichtweisen auf die Welt austauschen konnten. Der Dalai Lama hat mir
Dinge mit auf den Weg gegeben und ich ihm. So kritisierte der Dalai Lama
etwa, dass die christliche Religion zu sehr auf das Jenseits
ausgerichtet sei und sich deshalb nicht so sehr für den Umweltschutz
engagiere, etwa bei «Fridays for Future». Ich widersprach ihm und
erklärte anhand der Bibel, warum auch Christen die Schöpfung bewahren
sollen. Andersherum habe ich ihm deutlich gemacht, dass ich und auch der
Menschenrechtsausschuss jenseits aller Glaubensunterschiede die Haltung
vertreten, dass Religionsfreiheit das gemeinsame höhere Ziel ist, das
wir verfolgen. Am Ende des Gesprächs habe ich ihm einen internationalen
christlichen Segen beigebracht: «Ich grüsse Dich im Namen des Vaters, des
Sohnes und des Heiligen Geistes» und dabei gibt man sich einen
Handschlag und formt am Ende beide Hände zu einer Taube. So haben wir
uns gegenseitig mit diesem Segen verabschiedet.
Protestanten
haben natürlicherweise meist eine eher skeptische Haltung gegenüber
religiösen Führungspersönlichkeiten. Wie bewerten Sie den Personenkult
um den Dalai Lama vor diesem Hintergrund?
Ich
finde es in der Tat problematisch, wenn Menschen angebetet werden.
Allerdings habe ich nicht erlebt, dass der Dalai Lama das eingefordert
hätte – im Gegenteil. Seine Haltung gegenüber seinen Mitarbeitern war
auf Augenhöhe. Er sagte auch, er verstehe sich in erster Linie als einer
von sieben Milliarden Menschen auf der Welt, in zweiter Linie als
Buddhist und in dritter Linie als Tibeter. Das empfand ich als sehr
demütig. Andererseits fiel mir auf, wie sehr eine der Mitarbeiterinnen,
die sich unsererseits um den Ablauf des Treffens kümmern sollten, vor
dem Dalai Lama sass, als würde sie am liebsten auf die Knie fallen. Sie
schaute zu ihm auf wie ein kleines Kind zu seinem Lehrer. Diese
Anbetungshaltung finde ich schwierig. Und sie kann auch zu Problemen
führen, wenn er irgendwann einmal weg ist und China mitreden will, wer
der nächste Lama wird. Dieses Problem sieht der Dalai Lama selbst auch
und sagt ja auch immer wieder ganz beiläufig und mit einem Schmunzeln: «Wer weiss, wer nach mir kommt – vielleicht eine Frau. Oder er wird dann
wiedergeboren als Biene.»
Dürfen Sie nach einem solchen Treffen eigentlich weiterhin nach China reisen?
Man
sagte uns vor der Reise, dass wir nun damit rechnen müssen, nicht mehr
einreisen zu dürfen, bis die Regierung wechselt. Ich würde es dennoch
darauf ankommen lassen und schauen, ob China ernst macht. Wir haben
übrigens auch in Indien Warnungen bekommen, dass wir unsere Handys und
Laptops gegen chinesische Cyberangriffe sichern müssen – der Einfluss
des chinesischen Geheimdienstes dort ist massiv. Wenn das Auswärtige Amt
eine solche Reise in die Region antritt, werden danach normalerweise
die Handys geschreddert.
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Datum: 11.10.2019
Autor: Anna Lutz
Quelle: PRO Medienmagazin