Nach der Abstimmung

Das Stimmvolk hat Reife bewiesen

Es gibt Abstimmungswochenenden, nach denen man am liebsten auswandern würde. Diesmal war es nicht so. Eine Rückblende.
Bundeshauskuppel
Pierre Alain Schnegg

Der Schweizer Stimmbevölkerung, soweit sie sich an den Abstimmungen beteiligt hat, darf nach dem 19. Mai 2019 ein gutes Zeugnis ausgestellt werden.

Sie hat sich nicht von Prinzipienreitern bestimmen lassen

Mit dem Ja zur Steuer-AHV-Vorlage, die den Steuerkonflikt mit dem Ausland löst und der AHV mehr Geld bringt, hat das Stimmvolk aus christlicher Sicht «der Stadt Bestes» gewollt. Auch wenn die Verquickung der zwei Sachvorlagen störend war und noch so einiges an Kritikwürdigem bleibt, so ist es den Machern dieses Pakets gelungen, gleich zwei Fliegen auf einen Schlag zu erledigen. Sie hat damit auch Raum geschaffen, nächste Schritte zu tun, gerade auch was die Sicherung der AHV betrifft.

Sie stand über dem Mythos der wehrhaften Schweiz

Das Referendum gegen das Gesetz, das den Erwerb und Verkauf von halbautomatischen Waffen einschränkt, ist aus Kreisen gekommen, die das Ideal des wehrhaften Schweizers pflegen und sich andererseits nicht von der EU dreinreden lassen wollten. Es hat sich aber gezeigt, dass vielen Schweizerinnen und Schweizern die Änderung als plausibel erschien und auch als Beitrag gegen ein bisschen weniger Waffen in der Bevölkerung. Aus christlicher Sicht kann gesagt werden: Sicherheit kommt nicht durch Waffen, sondern durch das Ausleben christlicher Werte wie Nächstenliebe, Rücksicht, Toleranz usw.

Sie will die gesellschaftlich Abgehängten nicht unter Druck setzen

Bei den kantonalen Abstimmungen fiel vor allem die Vorlage zur Kürzung der Sozialhilfe im Kanton Bern auf. Dass der mehrheitlich bürgerlich abstimmende Kanton gegen das Gesetz votierte, fiel den Kommentatoren auf. Allerdings fiel auch ein Gegenvorschlag durch, der den älteren Sozialhilfebezügern mehr geben wollte. Die Annahme der Kürzungsvorlage hätte wohl einen Dammbruch bedeutet und das Nachziehen anderer Kantone ausgelöst. Die Berner wollten hier nicht mitmachen. Pikant war, dass die Vorlage von einem Regierungsrat entworfen wurde, der sich als Mitglied einer Freikirche versteht.

Die Freikirche, der Regierungsrat und die Sozialhilfebezügerin

Dies machte notabene eine SRF-Rundschau zum Thema, indem sie gleichzeitig mit Regierungsrat Pierre Alain Schnegg eine Sozialhilfe-Bezügerin porträtierte, die sich ebenfalls als Freikirchlerin zu erkennen gab. Die Stimmbevölkerung dürfte die Vorlage aber abgelehnt haben, weil sie erwartet, dass eine Kürzung der Sozialhilfe mehr personelle Unterstützung bedingt, damit die Bezüger, die dazu in der Lage sind, auch zu einer Arbeitsstelle kommen. Die Frage bleibt aber im Raum: Darf eine Gesellschaft diejenigen drücken, die nach schwierigen Erlebnissen, Unfällen und Krankheiten schliesslich im letzten Auffangnetz, der Sozialhilfe, gelandet sind? Hier geht es nicht um Profiteure, sondern viel öfter um Menschen, die es oft noch nie leicht hatten und nach traumatischen Erfahrungen am Leben verzweifeln könnten!

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Datum: 20.05.2019
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

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