Kolumne zum Sonntag

Wäre die Welt «ohne Politiker und Pfaffen» wirklich ein Paradies?

Wer sich öffentlich exponiert, muss mit Kritik rechnen. Dies hat auch der umtriebige Politiker und Pfarrer Marc Jost zu spüren bekommen, als ihn ein älterer Mann mit den Worten «ohne Politiker und Pfaffen wäre die Welt ein Paradies!» beschimpfte. Wie er damit umging, schreibt er in der «Kolumne zum Sonntag».
Marc Jost, Generalsekretär der Schweizerischen Evangelischen Allianz

Es ist ein ganz normaler Dienstagmorgen. Ich packe die Kehrichtsäcke und trage sie zur Strasse. Dort kommt ein altes Ehepaar vorbei. Zuerst ertönt ein ordentlicher Gruss und dann ein kurzer und unmissverständlicher Satz des Mannes: «Ohne Politiker und Pfaffen wäre die Welt ein Paradies!» Ich kenne den Mann nicht; er war über mich jedoch offensichtlich im Bild.

Ich war einen Moment lang sprachlos und nicht schlagfertig genug, eine originelle Erwiderung von mir zu geben. So brummelte ich – etwas schockiert über die Direktheit des greisen Zeitgenossen: «Sind Sie da so sicher?» Und dann war das Paar auch schon vorbei und liess mich mit meinen Gedanken allein.

Welch ein Groll muss in so einem Herzen sein

Was konnte einen Mann dazu führen, eine solche Aussage zu machen? Zuerst musste ich schmunzeln und dann wurde ich traurig. Was musste dieser Mensch enttäuscht worden sein von Berufs- und Amtskollegen von mir? Anders ist eine solche Haltung nicht verständlich. Und welch ein Groll muss in seinem Herzen sein, dass er diese Worte direkt und unverblümt einem unbekannten Vertreter dieser verhassten Branchen an den Kopf wirft?

Jesus war nicht zimperlich mit der Elite

Mir hat das Erlebnis zwei Dinge in Erinnerung gerufen: Im Matthäusevangelium sind Worte von Jesus an Pfarrer und Politiker überliefert, die auch nicht gerade schmeichelhaft waren: «Weh euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr verschliesst den Menschen das Himmelreich. Ihr selbst geht nicht hinein; aber ihr lasst auch die nicht hinein, die hineingehen wollen.» Damit erwähnt Jesus eine echte Gefahr für geistliche wie auch politische Führungspersonen. Sie sind besonders gefährdet, den Menschen den Zugang zum Heil – sei es irdisch oder ewig – zu versperren.

Gott vergibt auch den «Pfaffen und Politikern»

Und schliesslich hat das Ereignis mich angespornt nachzudenken, ob ich auch schon Menschen Anlass gegeben habe, so frustriert zu sein. Das ist gut möglich. Und deshalb ist es gerade auch für «Pfaffen und Politiker» gut zu wissen, dass auch Sie mit ihren Fehlern und ihrem Versagen vor Gott kommen können. Jesus schenkt auch ihnen Vergebung und neue Kraft, damit sie glaubwürdig und nicht als Heuchler leben können.

Zum Autor:
Marc Jost ist Generalsekretär der Schweizerischen Evangelischen Allianz (SEA). Der Thuner ist seit 2006 im Grossen Rat des Kantons Bern.

Zur Serie «Kolumne zum Sonntag»:
Kolumne zum Sonntag: Steuererklärung – oder der Antrag auf Erlösung
Kolumne zum Sonntag: Das schlichte Tischgebet macht einen Unterschied

Datum: 29.03.2014
Autor: Marc Jost
Quelle: Sonntagsblatt des «Berner Oberländer»

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